Ärzte erstreiken sich Macht im Tarifpoker

In puncto Bezahlung hat der einwöchige Streik für die Ärzte an der Charité bislang kein Ergebnis gebracht. Aber sie sind nun ein Verhandlungspartner

Wer zahlt drauf? Das Geld für höhere Ärztegehälter muss irgendwo herkommen

VON RICHARD ROTHER

Vor einer Woche war die Ärzteschaft der Charité, Europas größtem Universitätsklinikum, in Aufruhr. Jetzt kehrt wieder Ruhe ein. Verschobene Operationen werden nachgeholt, und die Ärzte können sich nach einer Woche Streik – der de facto eine Art Sonntagsdienst nach Vorschrift war – als Punktsieger fühlen.

Zwar ist materiell für die rund 2.300 Mediziner am Berliner Vorzeige-Klinikum noch nichts entschieden. Aber die Diskussionen laufen, wenngleich auch langsam, in eine für die Ärzte gute Richtung. Und die Ärzte haben sich als Machtfaktor im Verteilungskampf in Szene gesetzt.

Dieser Umstand ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Er wird die Situation in den Kliniken nachhaltig verändern. „Wir haben gezeigt, dass wir Ärzte geschlossen auftreten können“, bilanziert Oliver Peters von der Charité-Ärzteinitiative. Unabhängig von konkreten Ergebnissen sei dies ein wichtiges Signal.

In der Tat: Der Ärztestreik hat gezeigt, dass die Mediziner künftig ihre Interessen – bundesweit fordern sie 30 Prozent mehr Lohn und den Abbau unbezahlter Überstunden – durchsetzen wollen. Damit werden die Verteilungskonflikte zunehmen, nicht nur in den Kliniken, sondern im gesamten Gesundheitssystem. Denn klar ist: Das Geld für einen höheren Lohn für Ärzte und die Bezahlung der vielen Überstunden muss irgendwo herkommen.

Entweder die Kliniken kriegen insgesamt mehr Mittel. Dies könnte letztlich zu höheren Krankenkassenbeiträgen oder Zuzahlungen der Patienten führen. Oder innerhalb der Kliniken wird umgeschichtet. Mehr Lohn für Ärzte könnte also weniger bedeuten für Krankenschwestern und -pfleger, technische und Verwaltungsangestellte.

Einen Schritt in diese Richtung hat der Aufsichtsrat der Charité beschlossen. Die nichtmedizinischen Versorgung an der Charité geht künftig an eine Tochtergesellschaft. An dieser sind auch private Dienstleister beteiligt. Damit sollen Kosten für Reinigung und Instandhaltung weiter gedrückt werden. Einen Teil dieser Arbeiten erledigen bereits Berliner Mittelständler. Gegen die Auslagerungen hatte in der vergangenen Woche das nichtärztliche Personal der Charité demonstriert – und den Ärzten auch „Entsolidarisierung“ vorgeworfen.

Für die Ärzte geht es nun bei den Gesprächen mit dem Vorstand der Klinik, die aus dem bundesweiten Arbeitgeberverband ausgetreten ist, vor allem um die Lösung der „weichen“ Probleme. Hier sei der Vorstand offenbar zu Zugeständnissen bereit, so Ärztesprecher Peters. „Deshalb gibt es erst mal keinen Grund, den Streik fortzusetzen.“ So komme der Vorstand den Ärzten bei der Bezahlung der Überstunden entgegen, Verbesserungen gebe es auch bei den Vertragslaufzeiten und der ärztlichen Fortbildung.

Das Problem der Ärzte-Löhne wird allerdings nicht in Berlin gelöst, dessen sind sich die Mediziner an der Charité bewusst. Sie müssen darauf warten, dass es der Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund gelingt, mit der Tarifgemeinschaft der Länder einen Tarifvertrag für Ärzte abzuschließen. Daran könnte sich dann ein Haustarifvertrag der Charité orientieren: Wie in Berliner öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen üblich, werden die Entgelte unter dem vergleichbarer Tarife liegen. Die Auseinandersetzungen in den anderen Bundesländern dürften sich aber noch einige Monate hinziehen – und nicht ohne Ärztestreiks über die Bühne gehen.

Derweil versuchen weitere Ärzte-Verbände auf den fahrenden Zug aufzuspringen, der mehr Geld bringen soll. So kündigten Praxisärzte an, am Mittwoch ihre Türen zu schließen, um höhere Honorare durchzusetzen. Und die Berliner ambulanten Operateure wollen Eingriffe nur noch im Notfall durchführen. Dabei ist die Meinung vieler Berliner zu den Protesten durchaus differenziert: Die Forderung, überlange Arbeitszeiten in den Kliniken zu reduzieren, stößt auf Verständnis; die nach höheren Einkommen hingegen nicht. Am Hungertuch nagt die Ärzteschaft ohnehin nicht, allem Wehklagen zum Trotz.