Mit der Kamera ein Lied schreiben

Eine grandiose Deutlichkeit kennzeichnen diese Fotografien: Heidi Speckers Bildband „Im Garten“, der ihre Ausstellung in Hannover begleitet, wurde gerade vollkommen zu Recht mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2005 ausgezeichnet. Dabei wirken diese Bilder des Stadtraums oft malerisch

VON BRIGITTE WERNEBURG

Kein Garten weit und breit. Dafür ein pechschwarzer Teerflicken im dunklen, weiß markierten Asphalt. Die Fotografin Heidi Specker führt uns nicht in der Natur. Kein Darandenken. Sie ist, das demonstrieren alle ihre Arbeiten, in der Stadt zu Hause. Und dort bleibt sie auch weiterhin. Das macht sie gleich mit dem Bild einer achtspurigen Verkehrsschneise deutlich, auf der die Autos emsig dahersausen, allen voran ein schnittiger Porsche. Die Szene folgt auf das Eingangsbild eines kahlen, nackten Strauchs, dessen holzbraune Zweige sich glänzend aus dem schwarzen Hintergrund hervorheben. Das Licht ist auf sie gerichtet, als säße der Strauch im Fotostudio Porträt.

Die Stadt also und das bisschen hier vorfindbare Botanik lässt Heidi Specker sich „Im Garten“ wähnen; das überaus zarte, kaum sichtbare Astgespinst, das wie ein Schleier über die strenge Struktur einer Reliefwand fällt. Die Betonwand scheint gekrümmt. Ganz sicher ist das jedoch nicht zu sagen, denn sie füllt den gesamten Bildraum aus. Um welches Gebäude es sich hier wohl handelt? Die Frage bleibt unbeantwortet. Heidi Speckers Künstlerbuch, anlässlich ihrer Einzelausstellung im Sprengel Museum Hannover publiziert, ist ein makelloses Bilderbuch. Gerade wurde es mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2005 ausgezeichnet. Nur die notwendigsten Angaben finden sich auf der letzten Seite. Der Aufnahmeort gehört – anders als die Aufnahmezeit 2003/2004 – nicht dazu. Speckers Stadt ist eine Abstraktion, ein allgemeines urbanes Muster.

Anstatt wie sonst zu glänzen, schimmern die delikaten Farben, die Specker dem digitalen Apparat aus Kamera, Computer und Drucker entlockt, auf einem griffigen, matten Papier. Natürlich gibt es diese für Speckers Konzept unabdingbare, kostbare und staubtrocken anmutende Oberfläche nur beim Steidl Verlag. Selbstverständlich in edles Leinen gebunden – und ergänzt durch ein broschiertes Begleitheft. Neben der Serie „Concrete“, die Detailansichten dreier Sichtbetonbauten aus den Sechziger- und Siebzigerjahren zeigt, enthält es Texte von Jennifer Allen und Inka Schube sowie ein Interview, das Hans Ulrich Obrist mit Heidi Specker führte.

Sie suche „parallele Strukturen in Natur und Architektur“, erläutert sie hier ihr Konzept. „Bäume wachsen in den Himmel, ebenso wie Häuser. Bäume und Straßen gabeln sich.“ Auch die Oberflächen von Architektur und Natur weisen Analogien auf. Im Gussbeton verewigt sich sogar die Oberfläche seiner Holzverschalung. Der Baumstamm „Im Garten“ vor der Hauswand, das Nebeneinander von organischen und von Menschenhand geschaffenen Strukturen, schreibt das Programm fort, mit dem die 1962 geborene Fotografin vor zehn Jahren bekannt wurde. In ihren „Speckergruppen“ löste sie die Architektur typischer Sechziger- und Siebzigerjahre-Gebäude mit ihren vorgehängten Fassaden in die Abstraktion dekorativer Module auf. Sie überarbeitete die Fotos, die sie vor Ort gemacht hatte, am Computer, verschob Kontraste und Farbübergänge, nahm Tiefe und Schärfe heraus. Die Baumeister der zweiten Moderne erschienen in den „Speckergruppen“ schließlich als Entwurfgenies eher trübseliger Häkelmuster.

So fand sich in diesen Bildern der Prada-Chic der Neunzigerjahre wieder, das Ambiente der Techno-Klubs in den immobilen Überresten des DDR-Designs. Techno motivierte auch Heidi Speckers Bildprogramm: „Alle waren damals ‚elektronisch‘ unterwegs“, wie sie zu Obrist sagt. Digital zu arbeiten war da nur konsequent. Das Elektronische ist nun, zehn Jahre später, „Im Garten“ stark zurückgefahren. Nicht mehr der Verfremdung dient der Einsatz des Rechners, sondern der Zuspitzung der Eigenschaften von Material, Form und Farbe – Speckers tatsächlichem fotografischem Motiv.

Die Bilder des Stadtraums wirken oft malerisch, wie das Foto der riesigen ockerfarbenen Wand zeigt, die den Blick auf eine Baumgruppe und zwei weit dahinter aufragende Hochhäuser lenkt. In den Detailansichten, die eher gezeichnet als fotografiert erscheinen, ist dagegen die Grafik betont. Eine grandiose Klarheit und Deutlichkeit kennzeichnet diese Fotografien, in denen jede Maserung der Baumrinde und jeder Riss in der Wand, jeder Farbtupfer in geradezu mikroskopischer Genauigkeit sichtbar wird.

Das bringt Heidi Speckers Arbeit in Verbindung mit der Fotografie der Neuen Sachlichkeit. Ihr allerneuestes Fotobuch – aus Anlass einer Thailandreise – ist auch eine Hommage an die Fotografin Germaine Krull. Walter Benjamin begeisterte sich einst in seiner „Kleinen Geschichte der Fotografie“ für Krulls Fotobuch „Metal“ (1927), in dem Krulls Faszination für Stahlkonstruktionen zum Ausdruck kam. Das erinnert an Speckers Liebe zum Beton, die in den „Concrete“-Sequenzen des Beihefts deutlich wird. Einem Technotrack vergleichbar, sind die Fotofolgen stark auf den Beat in der Architektur konzentriert, ihre rhythmische Struktur, ihren Riff. Sie möchte aber, sagt Heidi Specker zu Hans Ulrich Obrist, „gerne mal ein Lied schreiben. Meine Bilder sind ja bisher instrumental.“

Ausstellung bis 12. Februar, Künstlerbuch plus Beiheft (Steidl Verlag) 30 € (Museumspreis); heute, 18.30 Uhr, Buchpräsentation „BANGKOK Heidi Specker Germaine Krull“, hrsg. von Ann und Jürgen Wilde