: Neue Sichtweisen
PROBEBÜHNE Im Humboldt Lab übt man in den Museen Dahlem Präsentationsformen für das Humboldtforum im Stadtschloss
VON ULRICH GUTMAIR
Mannshohe Glasvitrinen stehen locker in der Eingangshalle der Museen Dahlem verteilt. Man kann sie, wenn man 1 Euro zur Hand hat, wie Spinde im Schwimmbad abschließen. Drinnen hängen, für alle sichtbar, Mäntel und Jacken der Besucher des Hauses. Dunkle Farben dominieren, für Farbtupfer sorgen Schals und ein paar Mützen, die sorgfältig unter ihnen abgelegt worden sind. Die Garderobe verwandelt sich so zum Schauplatz ethnologischer Selbstbetrachtung: Aha, das also tragen die Kulturjournalisten, die zur Pressekonferenz des Humboldt Lab kommen. Ein bisschen schick soll es sein, aber auch nicht zu extravagant.
Das Humboldt Lab Dahlem ist ein Versuchslabor. Drei Jahre lang sollen neue Formen des Umgangs mit den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin erprobt werden. Danach wird man sie im Humboldtforum, in der Hülle des alten Stadtschlosses, wiedersehen. 4 Millionen Euro hat die Kulturstiftung des Bundes für diese Probebühne bereitgestellt, auf der die Frage verhandelt wird, wie ein Museum angesichts globaler Veränderungen anschaulich und fundiert Zugang zu außereuropäischer Kunst und Kultur vermitteln kann. „Das Haus kann sich neu erfinden“, freut sich Hortensia Völckers, Leiterin der Bundeskulturstiftung, und schiebt die Bemerkung hinterher: „Das müssten heute eigentlich die meisten Museen tun.“
Die öffentliche Garderobe ist insofern mehr als ein Gimmick, das die Besucher zum Mitmachen animiert. Sie symbolisiert den Anspruch, im laufenden Betrieb und in aller Öffentlichkeit mit neuen Ausstellungsformen zu spielen. Über verschiedene Mechanismen der Evaluation sollen die Erfahrungen aus dem Experiment in die Konzeption des neuen Hauses eingespeist werden.
Eine Jury hat Projekte verschiedener Kuratoren und Künstlergruppen für den ersten Probelauf ausgewählt. Die Ergebnisse der „Probebühne 1“ zeigen, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, das Material durch Inszenierung, Kontextualisierung, aber auch durch ungewohnte Eingriffe zum Sprechen zu bringen. Aus einer einfachen Beobachtung entwickelte die Kuratorin Nicola Lepp ihr „Museum der Gefäße“, das sich quer durch die reguläre Ausstellung der Museen erstreckt: Ethnologische Sammlungen sind voller Gefäße. Was passiert, wenn man auf die naheliegende Idee kommt, diese Gefäße einmal mit Wasser zu füllen, zeigt sich auf einem Bildschirm in der Abteilung für mesoamerikanische Archäologie. Lässt man destilliertes Wasser oben in ein peruanisches Kultgefäß hinein und durch eine zweite, schnabelartige Öffnung wieder hinausfließen, beginnt das Vögelchen aus Ton zu pfeifen.
Eine andere Gruppe hat ethnologische Musik- und Sprachaufnahmen aus dem Phonogramm-Archiv in eine aufwendige Installation eingespeist, in der Soundtechnologien des frühen zwanzigsten Jahrhunderts und der recht burschikose Umgang deutscher Ethnologen mit den Objekten ihres Interesses aufeinandertreffen. Während das benutzte Material hier aus dem Kontext gerissen wird, in dem es entstanden ist, und man nicht viel über die benutzten Aufnahmen erfährt, geht der Hamburger Architekt und Ausstellungsmacher Andreas Heller mit seinem Projekt „Bedeutungen schichten“ in die entgegengesetzte Richtung. Er stellt vier Exponate ins Zentrum der Aufmerksamkeit und bettet sie in eine größtmögliche Fülle von Informationen ein.
Dass viele Objekte ethnologischer Sammlungen auf fragwürdigen Wegen nach Europa gelangt sind, ist bekannt. Spannend wird es, wenn man sich konkrete Beispiele ansieht. Das ermöglicht eine Vitrine des „Springer“-Projekts, in der ein „Fetischstab“ und die zugehörige Karteikarte des Museums gezeigt werden. Dort kann man nachlesen, dass der Stab einem „Buschneger“ in Holländisch-Guyana mit Gewalt entwendet wurde, als er das Geschäft der Missionsstation der Herrnhuter Brüder betrat. Als „Buschneger“ wurden die Nachkommen entflohener Sklaven in Surinam bezeichnet, die man zuvor aus Westafrika verschleppt hatte, um ihre Arbeitskraft auf Plantagen auszubeuten, wo Zucker, Kakao, Kaffee und Baumwolle für die europäischen Märkte produziert wurde. Der Sammler Paul Körner erwarb den Stab und verkaufte ihn dem Berliner Museum für Völkerkunde. Ein Holzstab, eine Karteikarte und eine beiliegende Broschüre genügen, um etwas über die Dreiecksbeziehung des Welthandels im 17. und 18. Jahrhundert, die Missionierung von „in Sünde versumpften Menschenskindern“ durch deutsche Christen und die Herkunft eines musealen Objekts zu erzählen.
Der erste Probelauf des Humboldt Lab zeigt, wie man mit einfachen und unspektakulären Mitteln völlig neue und überraschende Zugänge zu längst bekannt erscheinenden Dingen herstellen kann. Vielleicht hat es sogar Sinn, dass die Lockerungsübungen des einstigen Völkerkundemuseums, das schwer an seinem kulturchauvinistischen und imperialistischen Päckchen zu tragen hat, bald in der Hülle des kaiserlichen Schlosses stattfinden werden.
■ Probebühne 1, Museen Dahlem, Lansstraße 8, bis 12. Mai 2013