: TÜV haftet nicht für Billig-Silikon
JUSTIZ Mangelhafte Brustimplantate der Firma PIP: Landgericht Frankenthal weist Klage gegen TÜV Rheinland auf Schmerzensgeld ab
MEDIZINRECHTLER HEYNEMANN
VON HEIKE HAARHOFF
BERLIN taz | Es ist das erste Urteil eines deutschen Gerichts im Skandal um die mangelhaften Brustimplantate der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) – und für die geschädigten Frauen ist es ein wenig ermutigendes Signal. Am Donnerstag wies das Landgericht Frankenthal die Klage einer Frau aus Ludwigshafen auf 100.000 Euro Schmerzensgeld ab. Zur Begründung sagte die Richterin, die Klägerin habe nicht ausreichend bewiesen, dass die minderwertigen Silikonkissen ihrer Gesundheit geschadet hätten.
Die Frau hatte dem TÜV Rheinland als zertifizierender Stelle für das Medizinprodukt vorgeworfen, den Hersteller PIP nicht ausreichend überwacht zu haben. Die inzwischen insolvente Firma soll über Jahre statt des vorgeschriebenen medizinischen Silikons billiges Industriesilikon in die Kissen gefüllt und diese weltweit an Hunderttausende Frauen verkauft haben. Bei wie vielen Frauen die Kissen rissen, das Silikon sich im Körper verteilte und Entzündungen hervorrief, ist nicht bekannt. In Europa existieren weder staatliche Zulassungsverfahren für Medizinprodukte noch Implantateregister, die eine solche Rückverfolgung ermöglichen würden. „Wir gehen in Berufung“, sagte die Anwältin der Klägerin, Ruth Schultze-Zeu, der taz.
Die heute 62-jährige Klägerin hatte sich die Implantate 2008 nach einer Operation zur Krebsvorsorge einsetzen lassen. Danach habe sie unter Fieber und Erschöpfung gelitten. 2012 ließ sie sich die Kissen wieder herausoperieren – damals hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfohlen, die Einlagen sicherheitshalber entfernen zu lassen.
Vorausgegangen war eine in der Geschichte der Medizinprodukte beispiellose Rückrufaktion des französischen Gesundheitsministeriums: 30.000 Frauen aus Frankreich wurden im Dezember 2011 aufgerufen, sich die Implantate vorsorglich wieder herausnehmen zu lassen. Bereits 2010 hatte Frankreich die Vermarktung, den Vertrieb und die Verwendung der PIP-Implantate europaweit untersagt.
Dem TÜV hatte die Klägerin vorgeworfen, seine Kontrollpflichten vernachlässigt zu haben. Dazu hätten Analysen der Implantate oder unangemeldete Besuche während des Produktionsprozesses gehört. Das Gericht sah das anders. Denn: Solche Vorschriften fehlen im europäischen Medizinprodukterecht.
„Wir haben hier eine Haftungslücke“, sagte der Berliner Medizinrechtler Jörg Heynemann der taz, „solange kein konkreter Hinweis auf eine grobe Täuschung vorliegt, ist der TÜV zu keinerlei unangemeldeten Kontrollen verpflichtet.“ Heynemann, der mehr als 20 PIP-Geschädigte vertritt, will deren Interessen vor französischen Gerichten durchsetzen: In Marseille beginnt das Strafverfahren wegen grober Täuschung gegen den PIP-Gründer sowie weitere Firmenmitarbeiter am 17. April. In Frankreich gibt es zudem einen staatlichen Garantiefonds, der Geschädigten zumindest eine symbolische Entschädigung von rund 4.000 Euro in Aussicht stellt. (Az.: 6 O 304/12)