: Versierte Verbeugung
RETRO-AVANTGARDE-FUNK Mit seinem fünften Album verneigt sich der britische Glamour-Soulboy Jamie Lidell versiert vor dem schwarzen Discokugelfunk der frühen 80er
VON ROBERT MATTHIES
Der Titel ist bis heute programmatisch. „Freekin The Frame“ hieß 1997 Jamie Lidells erste EP: Irgendwie im Chicago House verwurzelt, präsentierte der heute 39-jährige Brite diszipliniert respektlosen und unvorhersehbaren akustischen Minimal-Kubismus, der die Entschlossenheit deutlich machte, mit der der Philosophiestudent sich in neue Richtungen aufzumachen gedachte.
Und auch als Super_Collider veröffentlichte Lidell 1999 und 2002 mit „Head On“ und „Raw Digits“ gemeinsam mit dem chilenischen DJ und Klangfrickler Cristian Vogel viel beachtete Klang-Manifeste: Ersteres mit einem bis dahin ungehörten Gemisch aus Techno, Funk und Lidells überspanntem Soul-Gesang, als hätte man Terence Trent D’Arby einen Monat mit dem Abstrakt-Elektronik-Duo Autechre im Studio eingeschlossen. Letzteres hängte allerhand im Verlauf eines Jahres in Brighton, Berlin und Barcelona aufgezeichnete Klangschnipsel in ein dicht-komplexes Para-R’n’B-Gerüst ein, das man versucht hat, als „digitalen P-Funk“ zu verstehen. Lidells erstes Solo-Album „Muddlin Gear“ drei Jahre später: Ein wüstes Gesamtkunstwerk, beeinflusst von Musique concrète und elektronischer Musik der 50er und 60er, zu der sich Marvin Gaye, John Coltrane oder Sun Ra gesellen.
Fünf Jahre lang herrschte dann Funkstille. Zeit, die Lidell genutzt hat, um sich auf seine Stimme zu besinnen: Schneller kann man seine Einfälle einfach nicht umsetzen. Live mutierte der Mann mit der exaltierten Live-Performance in der Zwischenzeit zur gefeierten One-Man-Impro-Beat-Box-Show. „Multiply“ hieß das entsprechende Album, das 2005 Lidell endgültig als Souldiva empfiehlt: mehrfach gesampelter und geloopter Gesang, der sich hinter Stevie Wonder nicht verstecken muss, dazu satte Funkbassläufe und sogar ergreifende Engtanzschmonzetten. Vor drei Jahren ging es mit „JIM“ noch tiefer in die 60er: Rock’n’Roll, Gospelchöre, Ohrwürmer.
Mit seinem vierten Album „Compass“ reißt Lidell das Ruder erneut herum und gibt sich wieder experimentierfreudiger. Mit prominenten Gästen wie Beck, Feist oder Chris Taylor von Grizzly Bear führt Lidell einmal quer durch die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Beatboxende Manie, verfremdete Stimmen, die mit knarzenden Orgeln zu Vocoder-Bassläufen amalgamieren, kitschiger Schmusesoul, Fuzz-Gitarren-bewehrter Soul-Blues, psychedelische Ausflüge und ein Ende in weißem Rauschen – ohne sich je im Eklektizismus zu verlieren.
Vom überkandidelten Soul ist Lidell nun wieder einen Schritt zurückgegangen und knüpft am Super_Collider-Klang der späten 90er an: The GAP Band, Cameo und Prince heißen die Helden, und nach Letzterem klingt Lidell hier mehr als je zuvor. Eine versierte Liebeserklärung an den schwarzen Discokugelfunk der frühen 80er.
■ Di, 19. 3., 20 Uhr, Gruenspan, Große Freiheit 58