: Die Realität ist besser als das Image
NAZI-HOCHBURG LICHTENBERG
Es war im Frühjahr 1990, als Neonazis in der Weitlingstraße das Haus mit der Nummer 122 besetzten und das Schicksal Lichtenbergs besiegelten. Es folgten Schlachten mit Linken und Polizei, noch mehr zugezogene Rechte, eingeschlagene Scheiben, terrorisierte Migranten. Fortan galt: „Rechtsradikalen-Hochburg Lichtenberg“ (taz, 1990).
Anwohner ließen die Jalousien herunter, der Bezirk auch. Erst warnte der Afrikarat vor der „No-go-Area“, später auch Reiseführer. Erst Mitte der 2000er Jahre wachte der Bezirk auf, rief Programme gegen rechts ins Leben. Gewerbeleute gründeten runde Tische, die Antifa demonstrierte. „Grün, lebendig, kinder- und familienfreundlich“, wirbt Lichtenberg heute. Aus der Weitlingstraße sind die Nazitreffs verschwunden, Studenten und junge Familien ziehen ein.
Und dann kommt Mitte der Woche der Verfassungsschutz und stellt fest: Die Neonazis der Stadt radikalisieren sich, und sie haben ihr Zentrum wieder in – Lichtenberg. Wegen ihres zentralen Treffs, einem früheren Gardinenladen in der Lückstraße, gleich um die Ecke derWeitlingstraße. Und wegen Lichtenbergern wie Björn W., David G., Sebastian Z. oder Christian B. – junge Männer in den Zwanzigern, teils frühere Kameradschaftsführer, die sich seit Jahren dem Kampf gegen Linke und Migranten verschrieben haben, manche auch handgreiflich.
Nichts ist schwerer abzuschütteln als ein ruinierter Ruf. Allerdings hocken die Neonazis in der Lückstraße heute hinter Fenstern, die mit Metallplatten vernagelt sind. Bürger planen demnächst ein Multikulti-Fest davor. Sie starteten einen Ideenwettbewerb, was besser in den Laden sollte. 160 Ideen kamen zusammen. Und der Vermieter hat den Nazis gekündigt, vor Monaten schon.
Die Rechten sind noch da, wehren sich juristisch. Aber Lichtenbergs Jalousien sind oben. Zeitungen schreiben heute über „Besser leben hinterm Ostkreuz“. Und der Afrikarat hat sich schon länger nicht mehr über den Ostbezirk geäußert. KONRAD LITSCHKO