: Der Geist des Franquismus
DIKTATUR Mehr als 75 Jahre nach dem spanischen Bürgerkrieg ist Francisco Franco noch immer präsent. Warum, deckt Georg Pichler in „Gegenwart der Vergangenheit“ minutiös auf
Baltasar Garzón hatte schon immer ein Händchen für brisante Fälle. Mitte der 1990er Jahre ermittelte der Untersuchungsrichter gegen die Grupos Antiterroristas de Liberación, die Antiterroristischen Befreiungsgruppen, eine Todesschwadron, die gegen mutmaßliche ETA-Mitglieder und deren Sympathisanten mit Terror vorging. Wenig später erwirkte der Sohn eines Tankwarts und einer andalusischen Bäuerin einen internationalen Haftbefehl gegen den chilenischen Exdiktator Augusto Pinochet. Auch gegen argentinische Militärs ermittelte er wegen des Verschwindenlassens von spanischen Staatsangehörigen. 2009 musste sich der medial ausgesprochen geschickt auftretende Richter dann selbst vor Gericht wegen Rechtsbeugung verantworten. Garzón hatte ein Verfahren gegen zahlreiche Entscheidungsträger des Franco-Regimes initiiert und angeordnet, landesweit 19 Massengräber zu öffnen.
Damit hatte Garzón „einen Pakt gebrochen“, so argumentiert Emilio Silva Barrera, ein spanischer Journalist und Mitbegründer der Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica. Die Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die historische Wahrheit nicht den anderen zu überlassen, womit vor allem die Anhänger Francos gemeint sind, hat in Spanien seit dem Jahrtausendwechsel für Furore gesorgt. Warum?
Weil erstmals seit Dekaden die Angehörigen von Opfern der Franco-Diktatur ihr Recht einfordern – das Recht, ihre Angehörigen zu suchen, zu exhumieren, zu identifizieren und zu bestatten. Landesweit sind in den letzten Jahren an die 5.500 Überreste an die Familien übergeben worden. Nur ein kleiner Teil der insgesamt 130.199 Menschen, die von den Nationalen des Generals Francisco Franco umgebracht wurden. Laut Schätzungen liegen bis heute, mehr als 75 Jahre nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs, rund 113.000 Opfer über das Land verstreut in Massengräbern. So wie in Joarilla de Las Matas, einem kleinen Ort in Nordkastilien, wo die Asociación 2011 vierzehn Bergarbeiter, Opfer eines Erschießungskommandos, exhumierte.
Diesen Fundort hat Georg Pichler besucht. Er ist Professor für deutsche Sprache an der Universität Alcalá in Madrid, und über seine Forschungen über das antifaschistische Exil ist er zu einem erfolgreich verdrängten Teil der spanischen Geschichte gekommen: dem spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur.
Warum dessen Aufarbeitung Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur immer noch ein Tabu ist, hat Pichler en detail recherchiert. Dabei hat er so manches wenig bekanntes Kapitel des Franquismus aufgedeckt, wie die enge Kooperation mit der Kirche und die Tragödie der rund 30.000 niños robados. Diese Kinder wurden in Kliniken republikanischen Eltern weggenommen und regimetreuen Paaren zugesprochen.
Der „Pakt des Schweigens“, der letztlich jedwede Aufarbeitung der Geschichte genauso wie die Strafverfolgung der Verantwortlichen verunmögliche, zeigt immer mehr Risse. Die konservativen Machtzirkel versuchen zu mauern, wie Pichler anhand mehrerer Interviews belegt.
So hat man den Untersuchungsrichter Baltasar Garzón zum Beispiel mit einem Berufsverbot belegt. Ob das oder die rigorose Kürzung der Mittel für Exhumierungen reicht, um den Deckel auf der brodelnden jüngeren spanischen Geschichte zu halten, wird sich zeigen. Derzeit ist die Verklärung Francos als Retter vor dem Kommunismus wieder in Mode, wie zahlreiche revisionistische Buchtitel zeigen. Denen steht nun eine gründlich recherchierte und spannend geschriebene Studie gegenüber, die die komplexen Realitäten Spaniens 38 Jahre nach dem Ende der Diktatur zu Tage fördert. Ein Buch, das bei der nächsten Reise auf die Iberische Halbinsel als politischer Reiseführer ins Gepäck gehört.
KNUT HENKEL
■ Georg Pichler: „Gegenwart der Vergangenheit. Die Kontroverse um Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien“. Rotpunktverlag, Zürich 2013, 333 S., 29,50 Euro