: Rückkehr ins Jahr 1988
Auch wenn es keine Einigung über den Haushalt gibt, bleibt die Europäische Union handlungsfähig
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Wenn sich die 25 Außenminister der Union heute in Brüssel zusammensetzen, möchte man gern mal Mäuschen sein. Zunächst wird der Gastgeber, Großbritanniens Außenminister Jack Straw, das Wort ergreifen. Wie er bereits Montagabend vor Londoner und Brüsseler Journalisten in einer Videoschaltung selbstgefällig lächelnd darlegte, billigt sein neuer Finanzvorschlag für die Jahre 2007 bis 2013 den neuen Mitgliedsländern 150 Milliarden Euro zu – das sei immerhin doppelt so viel wie nach dem Zweiten Weltkrieg der Marshall Fund zum Wiederaufbau Westeuropas. Nach dem Gastgeber haben die 24 Amtskollegen das Wort. Je nach Temperament werden sie mehr oder weniger diplomatisch verbrämen, was sie von der britischen Idee halten: Gar nichts.
Straw wird herausstreichen, dass zwar im Vergleich zum Luxemburger Vorschlag vom Juni die Mittel für Strukturinvestitionen in den neuen Mitgliedsländern um 14 Milliarden, fast 10 Prozent, gekürzt wurden. Doch Berichte hätten gezeigt, dass die Neuen ohnehin Schwierigkeiten hätten, das Geld vernünftig auszugeben. Künftig sollten vereinfachte Antragsverfahren dafür sorgen, dass der Zugang zu EU-Geld weniger kompliziert und durch eingesparte Beraterkosten vor allem billiger werde.
Auf diese Problematik hatte auch das EU-Parlament bei einer Anhörung aufmerksam gemacht. Die CDU-Haushaltsexpertin Inge Gräßle rechnete vor, dass bei einigen Forschungsaufträgen 80 Millionen Euro Antragskosten aufgewendet werden müssten, um 230 Millionen Euro an Fördermitteln zu erhalten. Ein großer Anteil werde für externe Beratung ausgegeben, da ohne erfahrene Lotsen kein Verwaltungsmitarbeiter einen Weg durch das bürokratische Gestrüpp finden könne.
Das Dilemma zwischen solider Finanzkontrolle und investitionshemmendem Misstrauen ist nicht neu. Der britische Vorstoß zu weniger Bürokratie wird sowohl in den alten wie den neuen Mitgliedsländern Befürworter finden. An der Ablehnung des Finanzpakets aber wird das wenig ändern. Während Jack Straws schön gerechnete Streichliste per Videoschaltung ins Ratsgebäude in Brüssel übertragen wurde, zerriss ein Stockwerk tiefer der französische Botschafter den Vorschlag Posten für Posten in der Luft. Der Britenrabatt soll von 5 Milliarden Euro im Jahr auf 7 Milliarden ansteigen? Unannehmbar. Bereits 2008 soll die EU-Kommission das Agrarsystem grundlegend überarbeiten? Kommt nicht in Frage. 8 Milliarden Euro will Großbritannien im gesamten Planungszeitraum zusätzlich zahlen – aber ausschließlich für Investitionen in den neuen Mitgliedsländern? Mit Paris nicht zu machen.
Ähnlich schroff reagierte Kommissionspräsident Barroso, der bislang jede Konfrontation mit Tony Blair vermieden hatte. Noch während Straw sprach, verlas der Portugiese eine kurze Erklärung: „Der britische Vor-schlag ist inakzeptabel. Er ist ganz einfach unrealistisch. Er ist für ein Mini-Europa gemacht, nicht für das starke Europa, das wir brauchen.“ Gestern ergänzte Barrosos Sprecher, der britische Vorschlag streiche die wichtigsten Politikbereiche zusammen: Ländliche Entwicklung, wo doch gerade dort die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik liege. Initiativen, die Europa näher an die Bürger bringen sollen, wo doch die Gemeinschaft unter einem Legitimationsdefizit leide. Verwaltungsausgaben zu kürzen sei auf den ersten Blick zwar populär. Doch ohne zusätzliche Mitarbeiter in der Kommission könnten Bulgarien und Rumänien nicht integriert werden.
Ähnlich entschieden reagierte der haushaltspolitische Sprecher des EU-Parlaments, der CDU-Politiker Reimer Böge: „Inakzeptabel“ nannte er den Vorschlag, das Luxemburger Paket, das 871 Milliarden Euro umfasste und damit 1,06 Prozent des BIP entsprach, auf 846 Milliarden, al-so 1,03 Prozent des BIP, zusammenzustreichen. Böge wiederholte seine Drohung aus der letzten Woche: „Wenn es keine Einigung gibt, ist das nicht das Ende der Welt.“ Die EU könne ohne Probleme auf Grundlage des Haushalts von 2006, „der ausreichenden Gestaltungsspielraum bietet“, jährlich weiter planen.
Diese Drohung konterte Straw mit dem Verweis, das EU-Parlament habe keine echte Machtbasis. Es könne sich nicht den nationalen Regierungen entgegenstellen. „Es wäre den europäischen Bürgern nur schwer zu vermitteln, wenn ausgerechnet das Europaparlament einer Einigung im Wege stünde.“ Wie es bislang aussieht, wird das auch gar nicht nötig sein. Schließlich müssen zunächst im Rat alle Regierungen zustimmen, um eine mehrjährige Finanzplanung auf den Weg zu bringen. Das Echo aus den Hauptstädten war gestern so ablehnend, dass es kaum mehr möglich scheint, innerhalb einer Woche bis zum EU-Gipfel nächsten Donnerstag den Durchbruch zu erreichen. Dann dürfen ab Januar die Österreicher ihr Glück versuchen. Schafften sie es nicht, ist das wahrlich nicht das Ende Europas. Bis 1988 kam die Gemeinschaft schließlich auch mit einem jährlichen Haushaltsverfahren zurecht – ohne mehrjährige Finanzplanung.