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Archiv-Artikel

Hart, aber herzlich

PORTRÄT HSV-Trainer Bruno Labbadia ist ein extrem ehrgeiziger Typ – mit hohen Ansprüchen an andere und sich selbst. Das ist einerseits ein Garant für hart erarbeiteten Erfolg und birgt andererseits das Risiko eines grandiosen Scheiterns

Labbadias Weg

■ Als Kind spielte Labbadia beim FSV Schneppenhausen und dem SV Weiterstadt. Danach stürmte er für den SV Darmstadt 98, damals eine gute Adresse im Profifußball.

■ Für den Hamburger SV erzielte er in der Saison 1987/88 in 41 Spielen elf Tore.

■ Mit dem 1. FC Kaiserslautern wurde er 1990 DFB-Pokalsieger, zwei der drei Treffer zum 3 : 2-Sieg über Werder Bremen machte er. In der nächsten Saison wurde er mit dem FCK Deutscher Meister.

■ Für den FC Bayern München stürmte er von 1991 bis 1994, in seiner letzten Bayern-Saison wurde er erneut Meister. Er ging zum 1. FC Köln, war von 1995 bis 1998 beim SV Werder Bremen, schließlich bei Arminia Bielefeld und dem Karlsruher SC. In 328 Bundesligaspielen machte er 103 Tore.

■ Seine Geste waren die gezogenen Revolver, Labbadia war der „Pistolero“. Er ist der einzige Bundesligaprofi, der sowohl in der Ersten als auch in der Zweiten Liga mehr als 100 Tore schoss.

■ Seine Trainerkarriere begann im Mai 2003 beim SV Darmstadt 98, nun keine gute Adresse mehr. Aufstieg in die Regionalliga. In der folgenden Saison Platz fünf, dann verpasste er sein Ziel, den Aufstieg in die Zweite Liga.

■ In der Zweiten Liga trainierte er in der Saison 2007/08 die SpVgg Greuther Fürth . Er wechselte, trotz Vertrag bis 2009, vor der Saison 2008/09 zu Bayer 04 Leverkusen und ist nun beim HSV. ROR

VON ROGER REPPLINGER

Mitte der Woche, mal ganz früh, auch mal am späten Vormittag, auch bei Regen und Wind, kann es passieren, dass ein blauer Trainingsanzug um die Außenalster rennt. Auf dem Anzug steht „BL“ und im Anzug steckt Bruno Labbadia, der Cheftrainer des Hamburger SV.

Der Mann braucht das. Das HSV-Training lastet ihn nicht aus. Da kämpfen ja nur seine Jungs miteinander. Er schaut zu, korrigiert, aber er kämpft nicht. Jedenfalls nicht mit sich. Das bekommt er an der Alster.

Das Laufen hilft ihm, die Balance zu finden. Er lässt ein wenig von dem Dampf ab, der in ihm ist. Dann geht nicht alles an den Spielern raus. Bruno Labbadias Dampf ist heiß.

Er läuft ziemlich schnell. Er hat nicht zugenommen, seit er als Aktiver aufgehört hat. Wenn frühere Mitspieler und Trainer über den Fußballer Bruno Labbadia sprechen, einem für seine Position vergleichsweise kleinen Mittelstürmer, dann kommen sie auf den Ehrgeiz zu sprechen. Ehrgeiz ist eine seiner herausragenden Eigenschaften. Ehrgeiz treibt ihn an. Der Profisport ist ja eine Versammlung ehrgeiziger Menschen. Ohne diese Eigenschaft kommt man da nicht weit. Sozialer Ehrgeiz: raus aus dem Herkunftsmilieu. Sportlicher Ehrgeiz: besser sein als andere. Es gibt unterschiedliche Mischungsverhältnisse.

In der Fußball-Bundesliga treffen sich die außergewöhnlich Ehrgeizigen: Trainer, Spieler, Vorstände. Es kann passieren, dass sich viel Ehrgeiz auf engem Raum ballt. Ist es zu viel, knallt’s. Bruno Labbadia ist jemand, der es weit treiben kann. Wenn er scheitert beim HSV, irgendwann, dann auch, weil er nicht aufhören kann. Weil er überzieht. Ehrgeiz ist ja ein Topf auf einem Feuer. Das Problem ist, dass der Ehrgeizige der Inhalt des Topfs ist und das Feuer, auf dem er sich langsam verbrennt.

„Ich hab’ gespielt wie ’ne Bratwurst“, sagte Labbadia am 6. September 2009, dem „Tag der Legenden“, als er den Führungstreffer für die Hamburger Mannschaft schoss. Ist doch völlig egal, wie man da spielt. Es geht darum, Geld für Reinhold Beckmanns soziales Projekt „Nestwerk“ zu sammeln. Deshalb treffen sich Fußballgrößen früherer Tage. Die haben auch Spaß daran, sich mal wieder zu sehen. Den meisten reicht das. Labbadia nicht.

Niederlagen der Mannschaft sieht er als persönliche Niederlagen. Als Hinweise darauf, dass er was falsch gemacht hat. Genau deshalb sucht er die Schuld manchmal bei anderen. Als Innenverteidiger Jérôme Boateng, 21 Jahre alt, beim Spiel gegen Gladbach verletzt wird, humpelt, Schmerzen hat, reagiert Labbadia nicht. Er ist wie eine Mutter, die zusieht, wie ihr Kind sich verbrüht, und nicht eingreift. Aus erzieherischen Gründen. Später sagt Labbadia, Boateng hätte „eindeutiger Zeichen“ geben müssen, dann hätte er ihn ausgewechselt. Labbadia ist davon überzeugt, dass Boateng dabei was gelernt hat. Das ist Erziehung auf die schmerzhafte Tour. Gut wäre es, wenn Labbadia dabei was gelernt hätte.

Die Labbadias sind eine italienische Einwandererfamilie. Als der NDR in seiner Sendung „Sportclub“, den Vater in seinem Haus in Darmstadt zeigt, im Unterhemd, den Bruder, die Jugendtrainer, und Bruno Labbadia dazu was sagen soll, tut er das mit brüchiger Stimme. Er kommt aus kleinen Verhältnissen, sozial und auch, was den Fußball anbelangt. Es war ein langer Weg vom FSV Schneppenhausen bis zur Trainerbank von Bayer Leverkusen, seiner ersten großen Station. Zum Establishment, den dunklen Anzügen, die ihm gut stehen.

Bayer Leverkusen spielte 2008 ein halbes Jahr lang brillanten Fußball. Tabellenführung. Offensiv, viele Tore, technisch anspruchsvoll. Das ist Labbadias Fußball. Kurzpässe, sich nicht hinten rein drücken lassen, Initiative ergreifen, das Spiel in die Hand nehmen. Es sah nach dem großen Erfolg aus, hinter dem Bayer jahrelang vergeblich her gewesen war. Der damalige HSV-Trainer Martin Jol sah in Leverkusen „die beste Mannschaft der Bundesliga“.

Dann stürzte Leverkusen jäh ab. Am Ende bis auf Rang neun. Labbadia fand kein Mittel, den Sturz aufzuhalten. Es kam zum Zerwürfnis zwischen Labbadia und der Mannschaft. Es gibt Bayer-Spieler, die hinter vorgehaltener Hand nicht gut über ihn reden.

Labbadia kommt aus kleinen Verhältnissen. Es war ein langer Weg vom FSV Schneppenhausen bis zur Bundesliga-Trainerbank. Zum Establishment, den dunklen Anzügen, die ihm gut stehen

Kurz vor dem DFB-Pokalfinale in Berlin, das Bayer mit 0 : 1 gegen den SV Werder verlor, erschien ein Interview Labbadias in der Süddeutschen Zeitung. Labbadia klagte über die fehlende Zusammenarbeit mit Präsident Wolfgang Holzhäuser. Sportdirektor Rudolf Völler war sauer, etliche Spieler auch. Der Zeitpunkt, an dem das Interview erschien, war denkbar ungünstig. Für den Zeitpunkt trägt die Süddeutsche die Verantwortung, für den Inhalt Labbadia. Final-Niederlage und Interview führten dazu, dass Labbadia die Freigabe bekam und als Nachfolger von Martin Jol zum Hamburger SV wechseln konnte.

Als der HSV, zu Saisonbeginn stark und Tabellenführer, nach einer Verletzungsserie ein paar Ränge abrutschte, da schwadronierten die Angsthasen auf den Tribünen im Volkspark von der Leverkusener Geschichte, die sich nun wiederhole. Labbadia, der nicht über die Verletzungen jammerte, war sauer.

Unter Labbadia wird viel trainiert. Hart trainiert. Nach dem Training Videostudium, Taktikbesprechung. Lange. Labbadia fordert seine Spieler. Er muss aufpassen, dass er es nicht übertreibt. Auch bei Boateng. Er hat ihn mal aus dem Training nach Hause geschickt, weil ihm die Körperhaltung nicht passte. Boateng, der eine große Saison spielt, ist gechilled. So spricht er, so steht er manchmal da. Oder eher rum. Labbadia denkt, dass er mehr aus Boateng herausholen könnte, wenn der so drauf wäre wie er selbst früher. Sie haben einiges gemeinsam. Labbadia und Boateng. Aber so viel dann auch wieder nicht.

Wer Bruno Labbadia ist, wurde vor ein paar Tagen deutlich. Bei der Weihnachtsfeier des „Hamburger Weg“. Menschen mit Wünschen konnten diese auf Zettel schreiben und an Bäume hängen. Menschen, die diese Wünsche erfüllen wollten, nahmen die Zettel und kauften ein. Die beiden Gruppen trafen sich beim HSV, mit Spielern und Trainern, die Autogramme schrieben.

Labbadia schrieb, bis es spät war und die meisten schon gegangen waren. Da kam eine ältere Frau zu ihm. Die beiden sprachen hessisch. Sehr hessisch. Labbadia ließ Grüße ausrichten und die Hand der Frau nicht mehr los. Seine Stimme klang wie im „Sportclub“.