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Archiv-Artikel

Die Pfandschwestern

LEERGUT Es geht um Ansehen, um Stolz. Vor allem aber geht es ums Business – mit Pfandflaschen

Das Kottbusser Tor am späten Freitagabend. Man macht sich zum Ausgehen bereit, kauft noch eine Molle bei Kaiser’s. Es herrscht reges Treiben, die Atmosphäre ist entspannt. Vor dem Supermarkt stehen Irina*, Daime* und Ada*. Sie sind Freundinnen und auch sie machen sich für die Nacht bereit. Gleich beginnt ihre Schicht. Irina und Ada haben ihre Trolleys dabei, Daime schiebt einen umgebauten Kinderwagen vor sich her. Ungefähr 80 leere Bierflaschen passen hinein.

„Flaschensammeln ist mühsam, vor allem im Winter!“, erklärt Ada. Die ganze Nacht stratzen die drei durch die Gegend, klappern Mülltonnen ab und bitten biertrinkende Nachteulen um den letzten Schluck. Aber es lohnt sich, denn gerade im Berliner Nachtleben macht sich niemand die Mühe, seine Pfandflaschen abzugeben. Deshalb steigt die Zahl der Flaschensammler immer weiter. Und nicht nur das. Wenn man näher hinschaut, wird schnell klar: Sie organisieren sich, oft in Gruppen. Es entstehen Hierarchien, Territorien werden aufgeteilt, Arbeitszeiten festgelegt. Was die letzten Jahre noch als Bettelei galt, entwickelt sich allmählich zu einem konventionellen Arbeitsfeld.

Irina, Daime und Ada sind Teil dieser Struktur. Sie kennen sich schon lange und halten zusammen. Seit Jahren ziehen sie gemeinsam los, um ihren Lebensunterhalt mit Pfand aufzubessern. Im Sommer ist Gregor, Irinas Mann, eigentlich auch mit von der Partie. Aber die Minusgrade machen seiner Gesundheit zu schaffen. Die drei Frauen, alle um die 50, unterhalten sich noch, bevor es auf Streifzug geht. Über die Kälte und die Konkurrenz, die immer größer wird. Um diese Nacht überhaupt fündig zu werden, teilen sie sich auf. So können sie ihren Kiez umfassend abdecken. „Geht nicht die Adalbertstraße hoch!“, warnt Ada noch: „Layla ist wieder unterwegs und lässt niemand dort sammeln!“

Irina hat einen schlechten Zeitpunkt für ihren Streifzug erwischt. Missmutig zieht sie ihren Trolley um den Block. Vor ihr läuft eine andere Flaschensammlerin. Irina muss zusehen, wie sie ihr die Ware vor der Nase wegschnappt. „Die da vorn ist die Schlimmste, immer nur am Schimpfen, immer nur ‚meins‘. Ich verstehe nicht, warum. Die Flaschen gehören doch niemandem!“ Irina und ihre Freundinnen gehen das Sammeln gemeinschaftlich an. Sie teilen. Vier Flaschen für Irina sind auch vier Flaschen für Daime. So bekommt jede ihren rechtmäßigen Anteil.

Vor dem Klub SO36 trifft das Team wieder aufeinander. „Heute sind kaum Leute da!“, begrüßt Daime Irina. Enttäuscht beugt sich die füllige Frau über ihren Kinderwagen. Die Ausbeute ist mager: Fünf Stunden war sie unterwegs und hat nur ein Dutzend Flaschen gefunden – acht Sternburg und vier Beck’s. Das reicht nicht einmal für ein Abendessen. Dabei ist ihr Job sehr belastend. Daime hat Frostbeulen, ihr ist kalt. Alle beschließen, die Schicht zu beenden. Ab April ist Berlin wieder in Feierlaune. Nicht einmal Daimes riesiger Kinderwagen reicht aus, wenn das Saisongeschäft wieder losgeht. Mit zusätzlichen Taschen und Tüten ausgestattet, sind die drei dann dick im Geschäft.

* Alle Namen geändert

PAUL TAYLAN KILIÇ, HANNA KRASMANN