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Archiv-Artikel

Ich möchte lieber kein Teil einer Männerbewegung sein

ROLLENBILDER Die Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung fragte: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ – und stieß recht rasch an ihre Grenzen

Wo sind eigentlich die People of Color, die NichtakademikerInnen und die queeren Menschen?

Jungen weinen nicht. Der Mann kennt keinen Schmerz. Ein Sohn braucht seinen Vater. Auch heute noch existieren solche Erwartungshaltungen, obwohl sie eher zu den patriarchalen 50er Jahren als zur liberalen Gegenwart gehören.

Am Freitag widmete sich eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin den Männlichkeitskonstruktionen in der Gesellschaft. 18 Vortragende stellten sich der Frage, wie ernst es um die Krise des Mannes wirklich steht. Dabei standen nicht die vielen möglichen Identitäten des Mannes, sondern fast ausschließlich der weiße Familienvater aus der Mittelschicht in seiner Funktion als Ernährer und Erzieher im Mittelpunkt. Zum Beispiel in Michael Meusers Vortrag über Neudefinitionen von Männlichkeit zwischen Erwerbs- und Familienarbeit.

Irritation und Konflikt

Meuser wies auf die Irritationen und Konflikte hin, die aus der Demokratisierung der Familie entstehen, und bezog sich dabei ausschließlich auf die Situation in Deutschland. Eine Maßnahme wie der Vaterschaftsurlaub sei weniger eine neue Freiheit, vielmehr bedeute der Zuwachs an Optionen neue Belastung. Denn selbst, wenn sich ein Mann in seiner Rolle als Vater stärker engagiere, gebe es immer noch seine Frau, die ihren Machtanteil an der Erziehung nicht abgeben will.

Vonseiten des Publikums gab es für Meusers klischeehafte These viel Zustimmung. Eine Dame gibt zumindest zu bedenken, dass eine geringere Beteiligung an der Erziehung für die Frau leicht bedeute, dass sie als Rabenmutter diskreditiert wird.

Dass das Weiblichkeitsbild ein großes Problem darstellt, bestätigte Rolf Pohl beim nächsten Panel. Er erkennt die geistige und moralische Vorherrschaft männlicher Werte als gegenwärtig an und stellt Meusers Bild des verwirrten Mannes infrage. Dies sei besonders in den Köpfen von „antifeministischen Männerrechtlern, die so gern eine Bewegung sein wollen“ festgefahren. Es werde so getan, als würde man Männer mit aller Kraft davon abhalten, ihre Kinder zu erziehen. Dabei ist der eigentliche Widerstand die männliche Angst davor, Dinge zu tun, die für ihr Geschlecht untypisch sind.

Außerdem prangerte Pohl die heldenhafte Rolle des sogenannten neuen Vaters an. Dieser werde nahezu zum Erlöser des Kindes glorifiziert, überholte Denkmuster seien auch heute noch tief in der Gesellschaft verankert. Wenn es heißt, die Abwesenheit eines Vaters sei für psychische Erkrankungen und Traumata von Kindern verantwortlich, geht es nicht nur um den Schematismus der Elternrollen, sondern insbesondere um die Abwertung der Mutter. Unter Ausblendung geschlechtertheoretischer Fakten schreibe man ihr eine überbeschützende Rolle zu, sie sperre die Kinder in einer Symbiose ein, aus der sie dann vom Vater befreit werden müssten.

Pohls Kritik und der Appell an das Überdenken der Weiblichkeitseinstellung waren erfrischend, jedoch beschränkte auch er die Männlichkeit vor allem auf Heterosexualität und Reproduzierbarkeit. Als ein junger Mann aus dem Publikum ihn darauf hinwies, antwortete Pohl, dass er aus seiner eigenen heterosexuellen Matrix schwer herausbrechen könne. Diese mangelnde inhaltliche Vielfalt war wohl der Auswahl der ReferentInnen verschuldet. Wünschenswert wäre es gewesen, die Stimmen von People of Color, NichtakademikerInnen und queeren Menschen einzubeziehen.

Letztlich ist die Krise der Männlichkeit nichts weiter als ein Versuch, die männliche Hegemonie zu verschleiern, denn Männer genießen immer noch viele Privilegien in unserer Gesellschaft. Im Zeitalter genderkritischer Auseinandersetzungen sollten Erwartungen an ein Männerbild jenseits der Heteronormativität und des dichotomen Geschlechtersystems keine Utopie sein. Ob es an der Auswahl an Vortragenden oder an der gemäßigten Bürgerlichkeit der Stiftung liegt, sei in den Raum gestellt.

Der Titel der Tagung lautete „Man wird nicht als Mann geboren.“ Inhaltlich treffender wäre gewesen: Man wird als weißer, heterosexueller Mann in bürgerliche Verhältnisse geboren, möchte sich dafür nicht rechtfertigen und gibt sich Mühe, dass es in den nächsten Generationen so bleibt. HENGAME YAGHOOBIFARAH