Laut geschrien wird ohnehin immer

BUCHMESSE LEPIZIG II Eine Musikjournalistin und drei Generationen von „Spex“-Chefredakteuren plaudern über Vergangenheit und Gegenwart der Musikzeitschrift. Der Anlass ist ein neuer Reader, der „Spex“-Texte aus den letzten 33 Jahren versammelt

Viel zu selten, so die Kritiker der gegenwärtigen „Spex“, finden heute Musik- und Gesellschaftskritik zusammen – früher war die Koppelung erklärtes Ziel

Da sitzen also vier Musikjournalisten auf der Buchmesse und stellen ein Buch voller Texte von Musikjournalisten vor, worüber man jetzt als Musikjournalistin einen Artikel schreibt und sich fragt, ob das nicht alles doch sehr selbstreferenziell ist. Eine Frage, die mitten rein fällt in das ganze Drumherum um das gerade erschienene Buch „Spex. Das Buch. 33 1/3 Jahre Pop“. Das ist eine Art Best-Of der Spex-Texte und eine Art Überblick über 33 Jahre Popmusik und -diskurs. Der weder ansatzweise vollständig sei noch dem Wesen der Zeitschrift entspreche, noch zufriedenstellend ausgewählt wurde, wie man es jetzt allerorten – von Jungle World bis FAS – laut schreien hört.

Was daran liegt, dass immer allerorten laut geschrien wird, sobald es um die Spex geht. „Daran merkt man doch, wie wichtig sie noch ist“, erklärt Max Dax, der mit dem Umzug der Musikzeitschrift 2006 nach Berlin Chefredakteur wurde. Noch bevor er seine erste Ausgabe veröffentlicht hatte, wurde er mit „so was, was man heute wohl einen Shitstorm nennt“, konfrontiert.

Dax plaudert mit Torsten Groß, dem heutigen Chefredakteur (und seitdem auch recht erfahren im Aushalten von geballter Kritik), Anne Waak, der Mit-Herausgeberin des Buches, und Christoph Gurk, dem Chefredakteur von 1993 bis 1998 und damit Dienstältesten hier in der Runde, über das Früher und Jetzt der Spex. Treffpunkt ist der Pop-Up-Store des neu gegründeten Verlages Metrolit, der neben dem Spex-Buch auch einen Comic über den Tod Adornos, Aufzeichnungen der Bloggerin Jenny Lawson oder Anleitungen zum perfekten Spitzen eines Bleistifts herausbringt. Wenn nicht gerade Buchmesse ist, werden hier größtenteils unbekannte und liebevoll gestaltete Magazine verkauft, was ein bisschen der These widerspricht, die Groß an diesem Abend noch sagen wird: Nämlich dass die Zeiten vorbei sind, in denen man ein Fanzine gründet. Denn schließlich feiern gleichzeitig drei Straßenbahnstationen weiter im sogenannten Millionaires Club Hunderte Besucher eine Vernissageparty zu Comics, Zines und allem, was kunstvoll auf Papier gebracht und unter dem Label Indie unters Volk gebracht wird. Geändert haben sich die Zeiten für die Spex dagegen weit mehr, weil Pop- und Punkthemen immer stärker in den Feuilletons und in der subjektiven Expertise im Internet verhandelt werden.

Blur ja, Oasis auch

Doch im Jahre 1980 war die Gründung des „Magazins für Popkultur“, das damals den Untertitel „Musik zur Zeit“ trug und seitdem schon mehrere Male kurz vor dem Abgrund stand, dringend notwendig, befassten sich die bisherigen Musikzeitschriften doch vorrangig mit Peter Maffay und Udo Lindenberg. Eine „Zäsur im Journalismus“ nennt Gurk daher im Rückblick die Spex-Gründung mit dem Ziel, „Gesellschaftskritik an Musik zu koppeln“. Dass diese Koppelung schon lange viel zu selten auftritt, ist einer der Kritikpunkte an der Spex, wie ihn nicht nur Diedrich Diederichsen in Interviews äußert. Ein anderer ist der, dass die Obskurität, die die Themen und Texte der Spex ausmachten, im Buch nicht genügend gewürdigt werde.

Sie hätten versucht, die verschiedensten Chefredaktionen abzubilden, aber auch Bands, deren Namen man heute noch kennt, verteidigen sich die Herausgeber Waak und Dax. „Jede Entscheidung für einen Text hat eine andere nach sich gezogen“, beschreibt Waak die Probleme der Auswahl. „Wenn wir einen Text über Blur drin haben, muss dann Oasis auch mit rein oder gerade nicht?“ Scheinbar gerade doch.

Artikel über Joy Division, Daft Punk bis zu Maximo Park finden hier ihren Platz. 73 Texte bilderlos und aneinandergereiht plus alle Cover auf 480 Seiten, so sieht das fertige Produkt aus. Auch wenn der ein oder andere seine Lieblingsgeschichte vermisst, ist es doch ein Werk nicht nur für selbstreferenzielle Musikjournalisten geworden, sondern für all die „Leute unterschiedlichsten Charakters“, die Clara Drechsler schon unter den Gründungsmitgliedern ausmachte, „Leute, die von der Musik begeistert sind oder enttäuscht, sich bestätigt oder völlig verraten fühlen, die in der Musik nicht nur den gehobenen Anspruch sehen oder den neuesten Trend, den es zu entdecken gilt, aber auch mehr als die weltferne Ablenkung nach Feierabend“. JULIANE STREICH

■ Max Dax/Anne Waak (Hg.): „Spex. Das Buch. 33 1/3 Jahre Pop“. Metrolit Verlag, 480 Seiten, 28 Euro