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Archiv-Artikel

Es brodelt wieder in der Karibik

FRANKREICHS ÜBERSEEPROVINZEN In Guadeloupe droht ein Generalstreik wie vor einem Jahr. In Martinique und in Guyana wurde gestern über ein bisschen mehr Autonomie abgestimmt

„Warum diese spezielle Behandlung der Neger der Republik?“

ELIE DOMATA, LKP-CHEF

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Mehr als 10.000 Menschen haben am Samstag in Pointe-à-Pitre, dem wirtschaftlichen Zentrum der französischen Überseeprovinz Guadeloupe, demonstriert. Der Protest richtete sich sowohl gegen lokale Autoritäten als auch die Zentralregierung in Frankreich. Das aus Gewerkschaften, Linksparteien und Kulturvereinigungen bestehende Kollektiv „Liyannaj kont pwofitasyon“ (LKP) – was aus dem Kreolischen übersetzt „Vereinigung gegen die Profitmacherei“ heißt – hat damit bewiesen, dass es seit einem Jahr nichts an Mobilisierungskraft eingebüßt hat. Vor zwölf Monaten hatte auf Guadeloupe ein ungewöhnlich harter unbefristeter Generalstreik gegen die hohen Lebenshaltungskosten begonnen, der die Insel völlig lahmlegte und schließlich nach 44 Tagen mit einem Sieg des Kollektivs LKP endete. Die Pariser Zentralmacht und die Arbeitgeber mussten einer monatlichen Lohnerhöhung um 200 Euro, einer strikten Preiskontrolle und einer ganzen Reihe von Sozialmaßnahmen zustimmen. Schon bald wurde aber klar, dass der Staat und mehr noch die lokalen Unternehmer und an ihrer Spitzen einige wenige Familien, die das Import-Export-Geschäft kontrollieren, keineswegs gewillt waren, den vollen Preis für ihre Niederlage zu bezahlen.

Damit hatte der Gewerkschaftsführer und charismatische LKP-Chef Elie Domota gerechnet. Wenn nötig, will das LKP auf den Tag nach dem Streikbeginn von 2009 am 20. Januar erneut den Verkehr, den Handel und den Tourismus der Insel blockieren, kündigte Domota in der Zeitung Le Parisien an. Wie man mit Preisvergleichen leicht feststellen kann, ist das Einkaufen kaum billiger geworden, manche Importwaren sind sogar wesentlich teurer geworden. Und die Arbeitgeber weigern sich, die Lohnerhöhung zu bezahlen, die bisher vom Staat finanziert worden war. Man begreift, warum Le Parisien Guadeloupe Frankreichs „Pulverfass“ in der Karibik nennt.

Der direkte Anlass für die neue Mobilisierung des LKP aber ist eine zweite Erhöhung der Benzin- und Dieselpreise, die vom Präfekten, dem Statthalter der Zentralregierung, laut Domota in illegaler Weise angeordnet wurde. Auch bleibt es Guadeloupe weiter untersagt, viel billigeres Benzin aus Venezuela direkt zu importieren. Schon bei der ersten willkürlichen Treibstoffpreiserhöhung im September hatte das LKP Klage eingereicht. Dass nicht einmal ein Verhandlungstermin festgelegt wurde, ist für Domota Ausdruck derselben neokolonialistischen Herablassung, mit der die Pariser Regierung 2009 vergeblich versucht hatte, den Streik einfach auszusitzen. „Wenn in Frankreich die Lastwagenfahrer mit einer Blockade drohen, werden sie am Tag darauf von Sarkozy im Elysée empfangen“, meint Domota und fragt, rein rhetorisch: „Warum diese spezielle Behandlung der Neger der Republik?“ Auch das LKP weiß, dass die lokale Wirtschaft und vor allem der Tourismus einen zweiten Generalstreik kaum überleben würde. Doch wer hat in dieser Kraftprobe mehr zu gewinnen als zu verlieren?

In zwei anderen Departementen im karibischen Raum stehen die Bevölkerungen vor der Frage, was sie von der aus Paris in Aussicht gestellten Teilautonomie zu erwarten und allenfalls zu gewinnen hätten. Sie stimmten am gestrigen Sonntag über eine Gesetzesänderung ab, die den Weg zu mehr lokalen Kompetenzen in Wirtschafts-, Erziehungs- und Sozialfragen öffnen soll. Was genau an Zuständigkeiten übertragen wird, soll aber erst in Paris entschieden werden. Darum überwog die Skepsis. In Martinique wurde mit 60 Prozent Nein gerechnet. Die Unabhängigkeitsbewegung sah im Vorschlag nicht mehr als ein „Linsengericht“, das an der aus Kolonialzeiten stammenden Abhängigkeit nichts ändere.