: Der rot-rote Senat schlägt sich durch
Das Abgeordnetenhaus verabschiedet heute den letzten Haushalt vor der Wahl. Was hat Rot-Rot in vier Jahren geleistet, was ist liegen geblieben? Und wohin wollen Wowereit & Co. Berlin führen, wenn sie das Schulden-Dickicht bezwungen haben?
VON MATTHIAS LOHRE
Viel trauten die Kritiker der zweiten rot-roten Regierung auf Landesebene nicht zu, als diese Anfang 2002 ans Werk ging. Wer wollte schon glauben, dass gerade sie die Probleme der maroden Hauptstadt angehen könnte? Ein Blick schien zu genügen: Auf der einen Seite standen die vom Selbstdarsteller Gregor Gysi angeführten SozialistInnen. Auf der anderen stand eine SPD, die nach zehn Jahren großer Koalition wenig vorzuweisen hatte. Doch fast vier Jahre später ist Rot-Rot noch immer an der Macht. Heute verabschieden die Koalitionsfraktionen den letzten Haushalt dieser Legislaturperiode. Bei aller Kritik überwiegt bei den meisten Beobachtern das Lob für den Senat.
Erstaunlich beharrlich haben der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und seine Koalitionäre eine Schneise durchs Berliner Dickicht aus Schulden und Besitzstandsdenken geschlagen. Ihre Hiebe haben fast allen Interessengruppen der Stadt ins Fleisch geschnitten. Nicht nur in den Bereichen Kultur, Wohnungsbau, Bildung und Verwaltung schmerzen diese Wunden.
Am Gelde hängt, zum Gelde drängt auch im armen Berlin alles. Sämtliche Senatsentscheidungen stehen im Schatten des Berliner Schuldenbergs, der in diesem Jahr auf fast 60 Milliarden Euro gewachsen ist. In den berühmt gewordenen Worten Wowereits heißt das: „Sparen, bis es quietscht.“
Ein wichtiges Etappenziel hoffen die Regierenden bald zu erreichen. Erstmals seit der Wiedervereinigung will das Land im Jahr 2007 keine neuen Schulden aufnehmen – außer für anfallende Zinsen. Doch auch noch so massive Streichungen können nicht verhindern, dass allein die Ausgaben für Zinsen bis zum Jahr 2009 mit fast 3 Milliarden Euro massiv auf den Haushalt drücken werden.
Was haben vier Jahre Rot-Rot dem Land gebracht? In den einzelnen Bereichen fällt die Bilanz äußerst unterschiedlich aus.
Bei der Wirtschaftsförderung hapert es. Unter Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) ist zwar eine zentrale Anlaufstelle für Investoren entstanden. Doch noch immer stehen hoch gelobte Ansiedlungen von Unternehmen – beispielsweise Universal und MTV – einem weitaus größeren Stellenabbau entgegen. Karstadt, Siemens und Dresdner Bank sind dabei nur die bekanntesten Namen. Der einstigen Industriemetropole brechen seit der Wende die Arbeitsplätze weg.
Dass die Koalition vor lieb gewonnenen Besitzständen zurückgewichen sei, kann man ihr nicht vorwerfen. Mit der milliardenschweren Förderung im sozialen Wohnungsbau hat sie Schluss gemacht. Die Proteste von Anlegern und tausenden Mitgliedern von Wohnungsbaugenossenschaften nahm sie dafür in Kauf.
Wer im Doppelhaushalt 2006/07 nach Zukunftsvisionen sucht, wird enttäuscht. Der Senat, klagen die Oppositionsparteien CDU, Grüne und FDP, verwalte bieder den Mangel. Wo, fragt die CDU, bleibe die Förderung von Forschung und Wissenschaft. Die Grünen ergänzen: Wo bleiben die Investitionen in Bildung? Und die FDP fordert stärkere Kürzungen in den Landes- und Bezirksverwaltungen.
In Anlehnung an das Hamburger Vorbild verkündete die parteiübergreifende Enquete-Kommission des Abgeordnetenhauses im Frühjahr: „Berlins Hafen sind Wissenschaft und Kultur.“ Doch an den Anlegestellen herrscht Leere oder – um beim Bild vom Dickicht zu bleiben – die Koalition schlägt sich wacker durchs Unterholz, aber ein verheißungsvolles Ziel haben die Vorkämpfer ihren Mannschaften nicht genannt.
Im Gegenteil. Seit Regierungsantritt ist der Kulturhaushalt kontinuierlich geschrumpft. Eine neu geschaffene Stiftung bündelt die drei Opern der Stadt, doch ihr fehlt ein realistischer Wirtschaftsplan. Nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie schwer die Unterscheidung zwischen Zukunftsinvestitionen und vermeintlich Überflüssigem ist.
Einschnitte beim Kulturangebot gefährden die Touristenströme, die für Berlin immer wichtiger werden. Wissenschaft, Kultur und Tourismus hängen eng zusammen. Trotzdem wankt Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) beim Thema Studiengebühren. „Aus Gründen des Wettbewerbs“ kann sich der Sozialist das Bezahlstudium für die Zeit ab 2008 vorstellen.
Bei fast 18 Prozent arbeitslos Gemeldeten in Berlin bleibt die Umsetzung der Hartz-IV-Reformen über Jahre aktuell. Geschickt hat die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) die Gesetzesvorgaben in konkrete Verordnungen umgesetzt. Der Senat bestimmt, wie viel eine Wohnung für Hartz-IV-Empfänger kosten darf. Die befürchteten Zwangsumzüge im großen Stil gibt es bislang dank einer Übergangsregelung nicht.
Heute geht es nicht nur um den Doppelhaushalt 2006/07. Es geht auch darum, wie Berlin aussehen soll, wenn in dieser Stadt Sparen nicht mehr alles ist.
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