: Unzulängliche Forschungslage
betr.: „Feindbild Islam“ von Katajun Amirpur, taz vom 5. 12. 05
Ich kann die Angriffe von Katajun Amirpur auf Frau Kelek nicht nachvollziehen. Ich hätte gerade von ihr Solidarität mit den muslimischen Frauen in repressiven Milieus erwartet, denn darum geht es in der von ihr angegriffenen Literatur und nicht um ein angebliches „Feindbild Islam“.
Frau Kelek hat in ihrem Buch über „Importbräute“ selbst das Fehlen von größeren Untersuchungen bedauert, die den Kriterien der Repräsentativität genügen, und behauptet nicht, dass ihre eigenen explorativen und exemplarischen Studien diese ersetzen. Frau Kelek betrachtet die unzulängliche Forschungslage – ein Indiz für das zu lange währende gesellschaftliche Desinteresse an diesen Problemen – ausdrücklich als Mangel. Frau Amirpur gibt ihrerseits günstigere Einschätzungen und Impressionen aus einem aufgeklärteren, anpassungsbereiteren islamischen Milieu wieder. Wie die quantitative Verteilung ist, bleibt auch bei ihr unklar. Dass es unbestritten eine beträchtliche Minderheit aus rückständigen islamischen Milieus gibt, in der religiös und kulturell gerechtfertigte archaisch-patriarchalische Verhältnisse vorherrschen, verbunden mit Gewalt und Repression gegen Frauen, darf sehr wohl Beunruhigung auslösen, ohne dass gleich massivste Verdächtigungen gegenüber denjenigen erfolgen, die diese Missstände benennen.
Was die arrangierten Ehen betrifft, die Frau Amirpur milder beurteilt sehen will: Das Arrangieren ist nur dann akzeptabel, wenn der Wunsch danach von den Eheaspirant(inn)en ausgeht und quasi wie eine selbst gewählte Ehevermittlungsagentur funktioniert. Dabei müssten den Eheaspirant(inn)en ohne Sanktionsdrohung die Alternativen Nicht- oder Noch-nicht-Heirat offen stehen oder die völlig eigenständige Partnersuche oder die Wahl einer Lebensform ohne Ehe. All das selbstverständlich auch mit nichtmuslimischen oder atheistischen Partnerinnen und Partnern. Man wüsste gerne, wie oft solch eine Art von „liberalem“ Arrangement vorkommt.
Zu den „Ehrenmorden“: Zwar gibt es keine allgegenwärtige Bereitschaft zu Ehrenmorden bzw. Ehrenmorddrohungen in islamischen Gesellschaften. Trotzdem irrt Frau Amirpur, wenn sie diese strikt auf die von ihr genannten Milieus und Regionen begrenzt sehen will. Vor einiger Zeit etwa konnte man in einem Fernsehbericht über Jordanien die gleichen Phänomene erfahren: Morde an Frauen, die „Schande“ über die Familien brachten, und symbolische „Reinigungsrituale“ auf den Häusern, verbunden mit sehr milden Strafen durch die staatliche Justiz.
Der Verweis auf die deutsche Vergangenheit mit den Morden an sechs Millionen Juden wird von Frau Kelek ebenfalls thematisiert. Sie kritisiert anders als Frau Amirpur, dass daraus eine übergroße Scheu kritischer deutscher Mitbürger aus dem grünen und linksliberalen Lager erwachse, in bestimmten Migrantenmilieus genauer hinzusehen und Verstöße gegen die Grundrechte wahrzunehmen, die sie andernorts niemals hinnehmen würden.
Frau Amirpur hat richtig beobachtet, dass Emigrantenkinder häufig so viel von der deutschen Geschichte wissen, dass sie ihre Kenntnisse in alltäglichen Auseinandersetzungen einsetzen – wie Kinder eben so sind. So werden deutsche Mitschüler bei den üblichen Rangeleien mehr oder weniger ernster Art häufig gerne als „Nazis“ beschimpft, worauf diese dann betreten dreinblicken. Vielleicht sieht Frau Amirpur darin einen lobenswerten frühen Antifaschismus. Über den (selbstverständlich nichts relativierenden) Genozid an den Armeniern schweigen die deutschen Schüler meist taktvoll und sind wohl in der Regel auch nicht gut informiert. In Brandenburg haben sich bekanntlich offizielle türkische Stellen nicht ganz erfolglos dafür eingesetzt, dass dies auch so bleibt.
JÜRGEN SIMOLEIT, Hamburg