„Wir brauchen Regulierung“

VORTRAG Wirtschaftshistoriker spricht über den Umgang mit den Krisen in den 1930ern und heute

■ war Wirtschaftshistoriker an der Akademie der Wissenschaft der DDR und forschte lange in den USA.

taz: Herr Roesler, wo sehen Sie die größten Gemeinsamkeiten zwischen den Wirtschaftskrisen heute und in den 1930ern?

Jörg Roesler: In der Vorgeschichte. Es gab einen großen Boom, steigende Profite, aber sinkende Realeinkommen. So war es in Deutschland und den USA, wobei besonders dort die verdeckte Verschuldung eine Rolle gespielt hat. In den 30ern wie heute.

Welche gesellschaftlichen Parallelen gibt es?

Man ist bei beiden Krisen zum Zweifeln am Wirtschaftssystem gekommen. Der Eindruck, dass es nicht weitergehen kann wie bisher, überwiegt.

In Deutschland folgte damals die NS-Zeit. Halten Sie so etwas auch heute für möglich?

Speziell unter männlichen Jugendlichen dürfte die Bereitschaft steigen, sich extremistischen Gruppen anzuschließen. Die gab es in den 30ern in den USA übrigens auch. Präsident Roosevelt ist es aber gelungen, sie einzubinden. Seine Wirtschaftsreformen, der so genannte New Deal, hatten großen Zulauf – von links wie von rechts.

Daraus folgern Sie?

Deutschland muss auch einen New Deal entwickeln.

Also sind Sie unzufrieden mit den Reaktionen bisher?

Sehr. Man macht weiter wie bisher. Die Sparpolitik beschränkt sich darauf, die Löhne nicht zu erhöhen. So könnte man die Konjunktur auch ankurbeln. Man drückt den Menschen noch mehr Kosten auf – etwa bei der Gesundheit – und begrenzt die Ausgaben für Konsumgüter zusätzlich. Die USA unter Obama setzen viel deutlicher auf Regulierung.

Das wollen Sie auch hier?

Ja, wir brauchen eine Mischwirtschaft, reguliert vom Staat – vor allem im Bankwesen. Roosevelt ist das gelungen. Die Wählerstimmen haben damals gezeigt: Die Menschen wollen lieber einen Kapitalismus mit weniger Rendite als den Faschismus.

20 Uhr, Villa Ichon, Goetheplatz 4