HAROLD PINTERS NOBELPREISREDE WAR DER AUSZEICHNUNG NICHT WÜRDIG : Altbackene Philippika
Der Dramatiker Harold Pinter macht es sich zu einfach. Seine Nobelpreisrede mag auf den ersten Blick ja einen großen Effekt erzielen. Doch bleiben wird von ihr nicht viel. Das liegt nicht einmal daran, dass der Literaturnobelträger in seinem antiamerikanischen Furor einen sehr verkürzten Begriff von Amerika offenbart – die Beispiele amerikanischer Untaten, die Pinter anführt, sind ja richtig. Selbstverständlich kann man den USA weltpolitisch einiges vorwerfen. Nur ist es intellektuell ziemlich dreist, mit solch dramatischer Geste die andere, die helle Seite des US-amerikanischen Imperiums zu unterschlagen. So reden von ihrem Thema Besessene.
Doch deshalb allein weckt Pinters Philippika noch kein Unwohlsein. Ihr eigentlich interessantes Schlüsselwort heißt nicht „Amerika“, sondern „Wahrheit“. Geht man diesem Wort nach, hört man den intellektuellen Mechanismus hinter der Brandrede klappern. Das Suchen nach Wahrheit ordnet Pinter der Sphäre der Kunst zu. In der Sphäre der Politik aber behauptet er, die Wahrheit haben zu können. Von daher motiviert sich das eigentümliche Pathos dieses Textes: Mit großer Geste will Pinter die Maske vom Antlitz der Weltmacht USA reißen, und was dahinter erscheint, ist – so will er einen glauben machen – ein Totenschädel.
Das ist eine Inanspruchnahme von politischer Wahrheit, die nicht überzeugen kann. Sie stellt kein politisches Engagement her, sondern nur einen Diskurs. In dem wird nun Folgendes passieren: Für einen Moment wird die Rede das Meinungsspiel befeuern. Antiamerikaner werden sich bestätigt fühlen. Amerikaverteidiger werden dagegen argumentieren. Und dann, bald schon, wird man die Kontroverse vergessen. Denn etwas Neues – und sei es nur ein kleiner neuer Aspekt – und etwas Überraschendes kann man in der Rede nicht erfahren. Nur altbekannte Argumente gegen Amerika und, was noch schlimmer ist, eine ziemlich altbackene „J’accuse“-Rhetorik. Für Talkshows mag so ein Auftritt reichen. Für Literatur ist das zu wenig. Vor allem ist das zu wenig für einen Literaturnobelpreisträger. DIRK KNIPPHALS