: Das Glück der Dilettanten
PROZESS In der Nacht des 1. Mai bauen zwei Heranwachsende Molotow-Cocktails nahe der Roten Flora. Die hätten keineswegs der Polizei gegolten, beteuern sie
Einer der Angeklagten
Gezündet hätte dieser Molotow-Cocktail wohl nicht. Schließlich haben der 20-jährige M. und der 18-jährige H. statt Benzin Diesel in ihre Flaschen gefüllt. Das war, im Nachhinein betrachtet, ihr Glück. Weniger glücklich war der Zeitpunkt, an dem die Angeklagten versuchen wollten, ob das Cocktail-Bauen tatsächlich so funktioniert, wie sie es in Filmen gesehen haben: Am 1. Mai ist die Polizei rings um die Rote Flora mäßig gut auf alles zu sprechen, was Molotow heißt. Auch war es nicht besonders glücklich, den Treibstoff zu klauen. Aber: „Der Dilettantismus war Ihr Glück“, sagt der Staatsanwalt den Angeklagten am Dienstag. So blieb es beim „untauglichen Versuch“.
Die beiden Angeklagten würdigen das Gericht, indem sie Anzugjacketts zu ihren Jeans tragen. Von ihren Familien ist niemand gekommen. Der eine macht seit dem Abitur „gar nichts“, aber er ist im Begriff, sich einen Studienplatz für Pharmazie einzuklagen, da sein Abischnitt nicht genügt hat. Der andere hat Gymnasium und Lehre abgebrochen. Jetzt lernt er auf der Berufsschule etwas, „wozu es keinen Beruf gibt“ und möchte eigentlich eine Lehre als Fachinformatiker machen.
Der eine hat vier, der andere fünf Einträge im Erziehungsregister, wegen Marihuana-Besitzes, geringfügigen Diebstahls und dergleichen. Die meisten Verfahren hat die Staatsanwaltschaft eingestellt. Es sind freundliche Jungen und es ist offensichtlich, dass das Gericht ihnen wohl will. Es glaubt den beiden, dass ihr Hauptinteresse dem Bau der Molotow-Cocktails galt. Und dass ihnen die Idee erst kam, als sie vor der Roten Flora von der „Stimmung mitgerissen“ wurden. Was danach damit geschehen sollte? „Wir wollten sie auf keinen Fall auf Polizisten werfen“, sagt M. Der Richter sagt, dass man ihnen einen solchen Plan jedenfalls nicht nachweisen könne und er persönlich sei sogar geneigt, ihnen zu glauben.
Der Staatsanwalt sieht Jugendstrafrecht geboten und fordert gemeinnützige Arbeit für die Beiden – und das ist es auch, wozu der Richter sie verurteilt: drei Tage à sieben Stunden. „Mit dem Kiffen ist es jetzt vorbei“, sagt er. Das sei nun mal strafbar. Aber H. sorgt sich noch um etwas anderes: ob er sich gegen das Fotografieren draußen wehren könne. Es ginge doch um seine berufliche Zukunft. Der Richter appelliert an die Journalisten auf der Pressebank. Die nuscheln etwas von gepixelten Gesichtern.FRIEDERIKE GRÄFF