Passion einer Trinkerin

Mit einer alkoholabhängigen Frau als Hauptfigur verspricht der neueste Roman von A. L. Kennedy eher Erbärmliches und Abstoßendes, als eine schöne Lektüre. Dennoch möchte ich „Paradies“ unbedingt empfehlen, denn die Geschichte der Hannah Luckraft vermittelt die ganze Skala extremer Gefühle mit ungewöhnlicher Intensität.

Der Roman schildert Stationen einer Trinkerinnenexistenz in der Ich-Perspektive. Der Alkohol ist Hannah Luckrafts einziger Treibstoff, zu dem sie seit früher Jugend beherzt und aus eigenem Antrieb greift. Dieser Stoff hält für sie berauschendes Glück wie schlimmste Abstürze bereit, in denen der Film ihres Lebens völlig reißt. Selbstbewusst, mit erstaunlicher Klarsicht und Sarkasmus kommentiert sie das eigene Elend. Weil der Zahnarzt (und Trinker) Robert Gardener in ihr Leben tritt und sie mit ihm die große Liebe erlebt, gerät die ohnehin fragile Existenz ganz aus den Fugen, zu groß ist ihre Abhängigkeit von dem Gleichtakt beim Lieben und beim Trinken.

Der Leidensweg Hannahs setzt sich nach einer Entziehungskur fort, sie besteht schließlich einzig aus diesem Leiden. Ganz deutlich treten gegen Ende des Romans Bezüge zur Passionsgeschichte auf. Als beispielsweise Hannah geistesentrückt auf einen Nagel tritt, ergibt sie sich dem Schmerz bei vollem Bewusstsein. Die 14 Kapitel des Romans bilden genauso viele Stationen, wie sie der Kalvarienberg aus der katholischen Darstellung enthält.

Dieser neue Roman bleibt hinter den früheren, großartigen Büchern dieser Autorin nicht zurück. Ihre Romane und Erzählungen liegen als Taschenbuch vor und machen die Entdeckung einer Autorin leicht, die mit der Kraft und eindringlichen Intensität ihrer Gefühlsschilderung ganz einzigartig ist. Catherine Boivin, Buchhandlung Samtleben im Literaturhaus, Schwanenwik 38, ☎ 220 51 45