Arzt und Migrant in der Grauzone
Menschen ohne Papiere droht beim Arztbesuch die Abschiebung. Engagierte Mediziner, die die Behandlung übernehmen, machen sich strafbar. Tagung diskutiert den Missstand
Wer krank ist geht zum Arzt. Die Behandlungskosten übernimmt die Krankenkasse. Doch für Menschen ohne Papiere kann die gesundheitliche Grundversorgung zur Gefahr werden. Da sie nach deutschen Recht „illegal“ im Land sind, droht ihnen die Abschiebung, wenn sie der Ausländerbehörde gemeldet werden.
„Auch die medizinische Versorgung erfolgt in einer juristischen Grauzone. Sie kann als Beihilfe zum illegalen Aufenthalt kriminalisiert werden“, sagt Jürgen Hölzinger von der Vereinigung International Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW). Theoretisch könnten sich Mediziner der „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“ schuldig machen. Dafür droht bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. In Berlin leben rund 100.000 Menschen ohne Papiere, schätzt die IPPNW. In ganz Deutschland seien es rund 750.000. Mit der Tagung „achten statt verachten“ will die IPPNW heute auf diesen Missstand hinweisen.
Frauenärztin Jessica Groß hat bereits 1996 mit Kollegen das „Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin“ gegründet. Dort berät sie ehrenamtlich Migranten über Behandlungsmöglichkeiten. „Migranten ohne Dokumente müssen davon ausgehen, verhaftet und abgeschoben zu werden, wenn sie Hilfe bei Sozialämtern oder Krankenhäusern suchen“, sagt Groß. Öffentliche Einrichtungen müssen Patientendaten an die Ausländerbehörde weitergeben. Bei Menschen ohne Dokumente übernehmen Sozialämter ohnehin die Kosten für eine Behandlung nur in Ausnahmefällen.
Dabei hat Ärztin Groß „Spielraum für Willkür“ beobachtet, wenn Flüchtlingen etwa unterstellt wird, Schmerzen zu simulieren. In strittigen Fällen wird der Amtsarzt eingeschaltet. Manchmal würden Krankenscheine abgelehnt mit der Begründung, die Erkrankung sei „bei der Einreise bereits vorhanden gewesen“ oder sie könne „nach Abschiebung im Heimatland behandelt werden“.
Einzelne Ärzte und Krankenhäuser behandeln daher Menschen, ohne nach Krankenschein oder Aufenthaltsstatus zu fragen. Jessica Groß fürchtet weniger die juristischen Konsequenzen. In der Praxis sei dem „Büro für medizinische Flüchtlingshilfe“ kein Fall bekannt, in dem ein Arzt für dieses Engagement belangt wurde. Allerdings sei die Abrechnung ein Problem. Zur Abrechnung mit dem Sozialamt rät sie nur im Einzelfall. „Wenn eine Arbeitsmigrantin aus Osteuropa, die bald zurückwill, einen Unfall hat, raten wir eher dazu, eine Meldung bei der Ausländerbehörde zu riskieren, als bei der afrikanischen Flüchtlingsfrau mit panischer Angst vor der Abschiebung, bei der nur eine Platzwunde genäht werden muss.“ ANNETTE LEYSSNER
Die IPPNW-Tagung läuft von 9.30 bis 18 Uhr in der Auferstehungskirche, Pufendorfstraße 11, in Friedrichshain