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Archiv-Artikel

Die Partitur der Illusion

INSPIZIENZ Der Geruch von Schminke und Staub war Kathrin Bergel schon als Kind vertraut. Ihm ist sie nah geblieben als Inspizientin am Deutschen Theater. Porträt einer Frau am Technikpult

VON ESTHER SLEVOGT

Von vorn sieht immer alles ganz einfach aus: wenn die Illusionsmaschine Theater auf Hochtouren und alles wie am Schnürchen läuft. Da flutschen die Lichtwechsel, Musikcluster schwellen an und wieder ab, auf Stichwort treten die Schauspieler auf oder schweben aus dem Schnürboden herab. Oder es werden ungeheure Kulissenmassen in Bewegung gesetzt mittels einer in den Bühnenboden eingelassenen Drehscheibe.

„Verwandlung nennt man so einen Szenenwechsel auf offener Bühne: wenn nach einer Szene kein Vorhang für einen Umbau fällt, sondern die Drehbühne einfach ins nächste Bild gedreht wird“, sagt Kathrin Bergel, Inspizientin an Berlins Deutschem Theater. Ihr Arbeitsplatz befindet sich auf etwa drei Quadratmetern auf der Seitenbühne, direkt hinter dem Proszenium. Dicke, schall- und lichtschluckende Samtvorhänge trennen diese Schaltzentrale ab, von wo aus Kathrin Bergel über ein Pult mit unzähligen Reglern und Knöpfen (und nicht zuletzt auch über Headset-Verbindung) jede Bühnenaktion koordiniert und Einsätze für Techniker, Schauspieler und Bühnenarbeiter gibt.

Über Lautsprecher und zwei Monitore verfolgt sie die Vorstellung. Vor ihr liegt das Regiebuch mit der Textfassung des gerade gespielten Stücks, in dem jeder einzelne Auftritt, jeder Lichtwechsel, jeder Umbau, kurz: das gesamte Uhrwerk der Illusionsproduktion minutiös dokumentiert ist – die Partitur, mit der Kathrin Bergel das Riesenspielzeug Theater dirigiert.

„Ich komme aus einer Theaterfamilie“, sagt Kathrin Bergel. Ihre Mutter war Souffleuse, der Vater Schauspieler am Theater Nordhausen im Harz. Etwas anderes, als selbst einen Beruf am Theater zu ergreifen, konnte sie sich dann auch nicht vorstellen. Pläne, Schauspielerin oder Maskenbildnerin zu werden, scheitern. Sehr früh wird sie Mutter. Mitte der achtziger Jahre ist es dann doch so weit: Sie bekommt am Nordhausener Theater Arbeit als Requisiteurin. Da ist sie 24 Jahre alt.

Kurz vor der Wende dann der Wechsel ins Inspizientenfach. Das erste Stück, das sie betreute, war gleich ein berühmtes: die Inszenierung des damaligen Nordhausener Oberspielleiters Lutz Graf von Volker Brauns Anna-Seghers-Adaption „Transit Europa“, die Graf mit Christoph Heins Stück „Passage“ verschränkte. Das bezog sich dezidiert auf die Flüchtlingsströme, die seit 1988 über die Botschaften der osteuropäischen Bruderstaaten Richtung Westen flossen. Noch kurz vor der Wende wirft Graf nach Auseinandersetzungen mit der SED-Bezirksleitung das Handtuch in Nordhausen.

Magie macht Arbeit

Bergels nächstes Stück, da war die Mauer schon gefallen, war „Die Schneekönigin“ nach Hans Christian Andersen. „Das war ja Winter, und in kleinen Theatern gibt es dann immer die Weihnachtsstücke für die ganze Familie. Märchen sind technisch besonders schwer, weil diese ganze Magie und Zauberei einem besonders viel abverlangt.“

Dreizehn Jahre war sie insgesamt in Nordhausen. „Eine gute Schule“, wie sie heute sagt. Der Inspizientenberuf ist trotz der enormen Anforderungen hierzulande kein Ausbildungsberuf, und an einem kleinen Theater wie Nordhausen, wo von Schauspiel über Ballett, Tanztheater und Musical alles gespielt wird, lernte Kathrin Bergel ihn von der Pieke auf.

2000 folgte der Sprung in ein großes Theater: ans Schauspiel Hannover. Dort war sie die erste Frau überhaupt in ihrem Beruf und hatte es anfangs nicht immer leicht, sich bei den Männern der Technik und den Bühnenarbeitern, denen sie nun Anweisungen gab, durchzusetzen. „Aber irgendwann hatte ich mir meinen Stand erarbeitet.“

Seit 2005 ist sie nun am Deutschen Theater. Anfangs war Kathrin Bergel auch hier eine der ersten Frauen in ihrem Beruf. Inzwischen jedoch hat sich das Verhältnis verkehrt.

Je nachdem wie komplex eine Inszenierung auch technisch konzipiert ist, ist sie früh in den Probenprozess involviert: „Ich muss ja verstehen, wie eine Szene gedacht ist, um sie technisch später koordinieren zu können“, sagt Kathrin Bergel. Das war zum Beispiel bei Jürgen Kuttners und Tom Kühnels Inszenierung von Michael Frayns Willy-Brandt-Stück „Demokratie“ so, ein technisch enorm aufwendiger Abend, wo über unzählige Musik- und Videoeinspielungen, Kulissenwechsel, Auf- und Abtritte eines singenden und springenden Riesenensembles bis hin zum ferngesteuerten Stasimobil immer wieder störungsfrei eins ins andere greifen muss. Eine besondere Herausforderungen, sagt sie, ist das Arbeiten mit Nicholas Stemann, der oft tagesaktuell reagiert, immer wieder Texte einfügt oder Szenen neu sortiert. Manchmal auch noch, wenn die Inszenierung bereits Premiere hatte.

Bis zu zehn Vorstellungen betreut Kathrin Bergel parallel. Bei Andreas Kriegenburgs Dea-Loher-Inszenierung „Diebe“ fährt sie die Einsätze des bühnenfüllenden Schicksalsriesenrads, das Menschen ausspuckt und wieder verschlingt. Kathrin Bergel ist auch die Frau, die die legendäre Wand dirigiert, die Dimiter Gotscheff und sein Bühnenbildner Mark Lammert für Samuel Finzis und Wolfram Kochs Slapstick-Duell erdachten, das die berühmte Inszenierung von Aischylos „Persern“ eröffnet.

Der Mensch ist keine Maschine

In den letzten Jahren habe es zwar Versuche gegeben, den Beruf abzuschaffen und die Koordinierung der Vorstellungen auf Computer umzustellen, erzählt Bergel. „Aber der Mensch ist nicht programmierbar, und Schauspieler sind keine Maschinen. Sie brauchen nur mal ein Stichwort wegzulassen, auf das ein Licht- oder Szenenwechsel programmiert ist, und nichts geht mehr.“

So bleibt Kathrin Bergel bis auf Weiteres die Schnittstelle zwischen Regie und Technik, agiert sozusagen als Ingenieurin der Theaterkunst, steht jedes Mal wieder mit Lust den Endprobenstress durch, bis dann die fertige Aufführung das Bühnenlicht erblickt. „Das habe ich als Kind schon geliebt: diese Mischung aus Schminke und Staub, die dann als Geruch in den Zuschauerraum strömt, wenn der Vorhang aufgeht. Inzwischen rieche ich das allerdings gar nicht mehr. Wahrscheinlich weil ich längst ein Teil davon bin.“