: Wenn es ein Rad mehr sein soll
DREIRÄDER Ein drittes Rad nimmt die Angst vorm Umkippen und führt zu mehr Bewegungsfreiheit. Trikes mit tiefem Schwerpunkt versprechen sogar Tempo
VON HELMUT DACHALE
Die Rennrodelbahn in Oberhof ist eine weltweit anerkannte Zumutung: 15 enge Steilkurven auf 1.070 Metern, und das bei einem Gefälle von durchschnittlich 9,2 Prozent. Wer sich hier auf dem Fahrrad nach unten stürzt, muss entweder verrückt oder sich seiner Sache sehr sicher sein.
Der Wahnsinn ist machbar. Das zeigt ein kurzer Actionfilm, gedreht und ins Internet gestellt von HP Velotechnik, seit 20 Jahren Hersteller von Hightech-Liegerädern. Darunter auch etliche mit drei Rädern, und auf so einem Trike, dem faltbaren Scorpion fs 26, düst der Vertriebsleiter der Firma ziemlich relaxed dem Ziel entgegen. Mit einem Durchschnittstempo von gut 70 Stundenkilometern. Der abschüssige Betonkanal war bei diesem Experiment allerdings eisfrei, wenigstens das.
So sind sie, die modernen Dreiräder: schnell und wendig, sportlich und entspannend. Man macht es sich in einem sesselartigen Schalen- oder Netzsitz bequem und kann dennoch ordentlich Gas geben. Wobei nicht nach unten, sondern nach vorne getreten wird. „Stimmt schon, unsere Trikes sollen Spaß machen“, bestätigt Paul Hollants, Mitinhaber von HP Velotechnik. „Aber nur das sichere Rad bringt Spaß.“ Und deshalb erwähnt er zunächst die beiden kleinen 20-Zoll-Vorderräder, breit auseinanderliegend, das dritte Rad hinten, den tiefen Schwerpunkt – so eine Konstruktion bringe vertrauenswürdige Kippsicherheit und hohe Laufruhe. Und wenn man das Laufrad am Heck auf 26 Zoll vergrößere – wie eben beim fs 26 – sei das Trike so kurvenfest wie eine Achterbahn.
„Mit unseren Trikes fahren auch Menschen mit Gleichgewichtsstörungen oder Einschränkungen nach leichten Schlaganfällen, andere haben Muskel- oder Nervenschwächen, Multiple Sklerose“, so Hollants. Individuelle Ausstattung ist deshalb angesagt, jedes HP-Modell kann mit einem assistierenden Elektromotor versehen werden. Angeboten werden seit Kurzem auch Aufstehhilfen, die direkt am Rahmen befestigt werden.
Diese kleine Hilfe, die das Benutzen eines so niedrigen Fahrrads ungemein erleichtern kann, gehört jetzt auch bei der Icletta GmbH zum Zubehör. Sie montiert und vertreibt Dreiräder der englischen Marke ICE. Auch das sind niedrige Trikes mit filigranen Rahmen und zwei Fronträdern, faltbar und gefedert. Sportliche Geräte eben. „Aber auch unsere Kunden werden älter“, meint Icletta-Geschäftsführer Kirk Seifert. Macht nichts, ein ICE erlaube trotz körperlicher Einschränkungen das sportliche Fahren. Was nicht heißt, dass er seine Modelle als Reha-Fahrzeuge vermarktet, betont Seifert. Sie könnten jedoch auch als solche in Betracht kommen: „Es sind stabile und kippsichere Fahrräder mit Gokart-Feeling.“
Wer das eindeutige Bekenntnis zum Reha-Fahrrad sucht: Hase Bikes. Das Unternehmen aus Waltrop nennt einen Teil seiner Produkte tatsächlich so, darunter finden sich Trikes, aber auch einspurige Fahrzeuge. Auch auf einem Hase-Trike hat man es bequem, keine Frage. Auch hier rückengestützter Sitz, Federungselemente und die E-Motor-Option. Es findet sich sogar ein Faltverdeck, mit dem sich ein Großteil des Fahrrades überspannen lässt. Und außerdem gibt es mehrere Handtrikes, die durch die Kraft der Arme angetrieben werden und individuell angepasst werden können. Auffällig: Die drei Laufräder – fast immer 20 Zoll – sind anders angeordnet, die beiden parallelen rollen hinten. Anscheinend eine andere Stabilitätsphilosophie. Eine, die im Übrigen auch von den Herstellern hochgehalten wird, die das eher konventionelle Design bevorzugen und deren Modelle häufiger preisgünstiger sind als die auffälligen und nicht billigen Hightech-Flitzer. Wer so etwas sucht, wird etwa bei der Wulfhorst GmbH in Gütersloh fündig oder auch beim Traditionshersteller Rabeneick.
Ein Rad vorne, zwei hinten – damit hat es Gunda Krauss weit gebracht. Gunda Krauss: Deutschlands wohl bekannteste Dreiradfahrerin, demnächst 74, hat seit Jahren Probleme mit der Hüfte. Bekannt wurde sie 2009, als sie von München nach Rügen radelte. In kurzen Etappen, mit Unterstützung eines E-Motors und jeden Kilometer genießend, wie sie sagt. Ihr Fahrrad damals wie heute: ein Easy Rider vom holländischen Hersteller Van Raam. Auch hier kommt man auf 20-Zoll-Laufrädern daher, sitzt tief und hat im Rücken eine hochgezogene Lehne. Doch vorne ragt der Lenker nach Chopper-Art steil in Höhe. Also anders als etwa beim Scorpion, wo der Lenker unterm Sitz verläuft und seine seitlichen Enden mit leicht hängenden Armen zu erreichen sind. So was riecht nach Aerodynamik, und genau darauf kann Gunda Krauss gut und gerne verzichten. Um rasante Beschleunigung, gar in einem Betonkanal, geht’s ihr nun wirklich nicht. „Ich will mich entschleunigen, allerdings auch meine Bewegungsfreiheit ausleben.“
Gunda Krauss hält das Dreirad für das beste Seniorenfahrzeug überhaupt, nicht zuletzt, weil man an jeder Ampel bequem sitzen bleiben kann. Aber man müsse es ja nicht so nennen. „Für mich ist es mein Cabriolet“, lacht sie. Für den September plant sie eine längere Tour: durch Bayern, gemeinsam mit einer jüngeren Begleiterin im Rollstuhl.