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Archiv-Artikel

„Uns geht Potenzial verloren“

Dass die Innenminister sich am Freitag auf kein Bleiberecht einigen konnten, war zu erwarten, sagt SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz. Er rechnet aber 2006 mit einer Regelung für geduldete Flüchtinge

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN

taz: Herr Wiefelspütz, Sie kämpfen seit langem für eine Bleiberechtsregelung. Sie sind enttäuscht, dass die Innenminister keines beschlossen haben?

Dieter Wiefelspütz: Bei aller Enttäuschung: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Innenminister bei der ersten Diskussion darüber eine gemeinsame Regelung beschließen. Ich bin aber froh, dass die Debatte um ein Bleiberecht für lange geduldete Flüchtlinge endlich in Gang gekommen ist – und zwar nicht nur unter den üblichen Verdächtigen wie der SPD und den Grünen, sondern auch aus den Reihen der Union. Was die Initiative aus NRW betrifft, beschämt es mich schon fast, dass dieser Vorstoß von einem FDP-Innenminister kommen musste. Ich hätte mir gewünscht, dass Wolfs SPD-Vorgänger Fritz Behrens sich in seiner Amtszeit intensiver für ein Bleiberecht eingesetzt hätte.

Der Entwurf aus NRW ist sehr restriktiv. Flüchtlingsexperten schätzen, dass so nur 1.000 von 65.000 Geduldeten in NRW in den Genuss eines sicheren Aufenthaltsstatus kommen.

Problematisch ist in der Tat am Vorschlag von Wolf, dass er das Bleiberecht an eine zweijährige sozialversicherungspflichtige Arbeit knüpfen will. Das steht im Widerspruch zur Realität in NRW, wo beruflich integrierten Menschen reihenweise die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Ich will aber auch nicht, dass jeder ein Bleiberecht erhält. Jemanden, der mit Drogen dealt, möchte ich außer Land haben. Ich hätte den zusätzlichen Wunsch an ein Bleiberecht, dass es mehr Kindern zu einem Aufenthaltsstatus verhilft. Die Kinder sind im NRW-Entwurf vergessen worden...

...Dafür wollen Hessen und Niedersachsen den Status von Flüchtlingskindern verbessern. Ist Wolfs Entwurf von der Union überholt worden?

Ich will den Entwurf aus NRW nicht herunterreden, auch wenn er inhaltlich unzureichend ist. Die Vorstellungen aus Hessen und Niedersachsen liegen mir deshalb näher: Es gibt eine Menge integrierter Jugendlicher, die hier geboren oder zumindest als kleine Kinder nach Deutschland gekommen sind. Wenn ihre Eltern auf illegalem Wege nach Deutschland eingereist sind, können nicht die Kinder dafür verantwortlich gemacht werden. Ich sehe das nicht nur aus humanitären Gründen so: Jeder Praktiker weiß, dass viele der volljährigen Jugendlichen, die ausreisepflichtig sind, irgendwann in die USA oder nach Kanada einwandern. Da geht uns ein großes Potenzial verloren. Und das scheint jetzt auch die CDU zu begreifen.

Im Entwurf aus Niedersachen sollen integrierte Kinder bleiben, ihre Eltern aber abgeschoben werden dürfen.

Hier muss man sich überlegen, ob das mit dem christlichen Menschenbild und dem im Grundgesetz festgeschriebenen Schutz der Familie vereinbaren lässt. Doch auch diesen Ansatz finde ich interessant, weil er an die Kinder denkt.

Und ihre Eltern sollen nur dann bleiben dürfen, wenn sie sozialversicherungspflichtig arbeiten?

Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, dass es einen Passus gibt, in dem festgehalten wird, dass die betroffene Person ihren Lebensunterhalt selbst bestreitet. Aber dafür sollte es differenzierte Lösungen geben: Wir müssten zum Beispiel überprüfen, ob nicht gesellschaftliche Gruppen eine Garantie für einen Flüchtling übernehmen könnten. Dem Anwärter auf ein Bleiberecht würde man dann eine gewisse Zeit einräumen, um eine Arbeit zu finden.

Die Innenminister Bayerns und Baden-Württembergs aber sperren sich generell gegen eine Bleiberechtsregelung.

Ich weiß nicht, ob das das letzte Wort aus Bayern und Baden-Württemberg ist. Aber man kann ganz deutlich spüren, dass die Zeit des Wahlkampfs vorbei ist. Die Länder vertreten jetzt ihre eigenen Interessen, nicht die ihrer Partei. In Hessen zum Beispiel leben 30 Prozent Ausländer, für die will ihr Innenminister verständlicherweise eine Regelung finden. Es hat mich fast peinlich berührt, dass sich nach dem Regierungswechsel mehr bewegt als vorher unter Rot-Grün. Jetzt wurde das Bleiberecht sogar in den Koalitionsvereinbarungen thematisiert.

Darauf haben sich jetzt die Innenminister berufen und die Diskussion vertagt. Der Bund soll erst das Zuwanderungsgesetz „überprüfen“.

Das ist die Sprachregelung, die vermeintlich elegant erklärt, warum es zu keinem Ergebnis gekommen ist. Dass Kettenduldungen mit dem Zuwanderungsgesetz nicht abgeschafft wurden, ist ja schon längst analysiert. Das heißt, dass die Innenminister weiter in der Verantwortung stehen werden, eine so genannte Altfallregelung zu beschließen. Auch wenn es noch ein großes Stück Arbeit bedeutet: Ich bin optimistisch und rechne noch im Jahr 2006 mit einer allgemeinen Bleiberechtsregelung.