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Archiv-Artikel

Wer ist Abraham? Wer ist Sarah?

MAERZMUSIK Wie gelingt ein Stück zu einem heiklen Thema wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt? Steve Reich und Beryl Korot machten es im Haus der Berliner Festspiele mit ihrer Multimedia-Oper „The Cave“ vor

So reagieren die Instrumente des Ensemble Modern auf rhythmisch wiederholte Sprachfragmente, verdoppeln und verstärken sie

VON TIM CASPAR BOEHME

Von außen ist nichts weiter zu sehen als ein kleines Loch im Boden. In der darunter verborgenen Höhle in Hebron, Machpela genannt, sollen aber der biblische Abraham und seine Frau Sarah begraben liegen, selbst die Gebeine von Adam und Eva werden dort vermutet. Heute steht über der Grabstätte eine Moschee, doch da sich Juden wie Muslime auf Abraham als Stammesvater berufen, ist der Ort für beide Religionsgruppen als heilige Stätte zugänglich – mit streng voneinander getrennten Gebäudeteilen. Am Eingang gibt es Waffenkontrollen.

Als der US-amerikanische Komponist Steve Reich und seine Frau, die Videokünstlerin Beryl Korot, im Jahr 1993 an ihrer gemeinsamen Multimedia-Oper „The Cave“ arbeiteten, herrschte zwischen Israelis und Palästinensern ein etwas entspannteres Verhältnis als heute. Es war die zweite Amtszeit Jitzhak Rabins als Präsident, in der es zu den ersten direkten Gesprächen zwischen der israelischen Regierung und Vertretern der PLO kam. Zwei Jahre Jahre später wurde Rabin ermordet.

Auch wenn „The Cave“ keine eindeutige Botschaft formuliert, lässt das Werk schon allein durch den Ort, die Machpela, um den das Werk kreist, eine politische Haltung erkennen. Korots Bildmaterial dazu entstand vorwiegend aus Interviews mit Israelis, Palästinensern und US-Amerikanern, die alle dieselben Fragen gestellt bekamen: Wer ist Sarah? Wer ist Abraham? Wer ist Ismael? In den Antworten werden Übereinstimmungen wie Unterschiede im jüdischen wie muslimischen Selbstverständnis deutlich, ohne dass die gemeinsame Grundlage als solche bezweifelt würde.

In den Antworten der Befragten steckt zudem ein immenser Reichtum an Melodien. Steve Reich, bekannt geworden als Minimalist, der mit Patterns arbeitet, die sich durch Phasenverschiebung allmählich wandeln, wendet in „The Cave“ dazu ein Verfahren an, das er auch schon in seinem Streichquartett „Different Trains“ von 1988 erprobt hatte. So reagieren die Instrumente, versiert gespielt vom Ensemble Modern, auf rhythmisch wiederholte Sprachfragmente, verdoppeln und verstärken die Satzmelodie, spinnen diese weiter, bis die nächste Äußerung für neues melodisches Material sorgt. Es ist kein sich verselbstständigendes Repetitionsmuster zur Bewusstseinsveränderung, sondern ein kurzes Verharren beim gesprochenen Wort, das diesem mehr Gewicht gibt.

Tatsächlich wurden die meisten Bilder und die zugehörigen Sätze von Reich nach ihrer melodischen Eignung ausgesucht – besonders die Tonart musste stimmen. Während die Bildsprache in nüchtern dokumentarischem Stil gehalten ist, folgt ihre Ordnung überwiegend musikalischen Prinzipien. Bei der Vertonung von Bibelpassagen hingegen, von den Sängern des Ensembles Synergy Vocals vorgetragen, wählte Reich eine künstlichere Tonsprache, die sich vor allem in einer staccatoartigen Rhythmik der Texte zeigt.

Die Oper ist in drei Akte geteilt. Im ersten kommen Israelis zu Wort, im zweiten Palästinenser, der dritte Akt ist den US-Amerikaner vorbehalten. Man sieht einen israelischen Juden, der die Stammesväter von Abraham an in einer Selbstverständlichkeit – und Geschwindigkeit – aufzählt, als wären es die Buchstaben des Alphabets. Ein palästinensischer Imam singt im zweiten Akt Koran-Passagen über die Rolle Abrahams, und ein junger Hopi-Indianer wird später freimütig zugeben, keine Ahnung von Abrahams Bedeutung zu haben – andere Landsleute verweisen auf „Moby Dick“ oder Abraham Lincoln. Die Zäsuren zwischen den einzelnen Akten markieren Videosequenzen einer Fahrt nach Hebron, in der eine Stimme aus dem Off vom Ortseingangsschild die Worte „Welcome to Hebron“ abliest.

„The Cave“ hat 20 Jahre nach seiner Uraufführung nichts von seiner Aktualität eingebüßt, vermutlich weil es sich auf keine bestimmte Lesart oder eindeutig am Tagesgeschehen orientierte Fragestellungen festlegt. Seine scheinbar weltfremden religiösen Exkurse erweisen sich als Antworten nicht aus streng religionsgeschichtlicher, sondern individueller Perspektive, als seien die Beteiligten gefragt worden: Wer ist Abraham für dich, wer ist Sarah für dich?

Eine Geschichte und Figuren wie in einem herkömmlichen Opernlibretto hat „The Cave“ keine, die Struktur resultiert vielmehr aus den Fragen und den verschiedenen kulturellen Perspektiven. Durch die Musik werden die einzelnen Positionen zu einer Erzählung verknüpft, die wie beiläufig ihre eigene Dramaturgie entwickelt und dabei Bild und Musik fast spielerisch zusammenführt.

Konflikte mögen dadurch keine gelöst werden, gegenseitiges Verständnis jedoch kann diese Oper allemal fördern.