: Selbstausbeutung an der Fliese
Seit dem EU-Beitritt Polens hat sich die Zahl polnischer Handwerker in Berlin offiziell verachtfacht. Einheimische Betriebe können mit deren Preisen nicht konkurrieren. IG Bau: „unseriöse Kalkulation“
von ANNE MÄRTENS
Polnische Staatsbürger bieten ihr handwerkliches Geschick in Berlin weitaus günstiger an als einheimische Meister. Nicht als Schwarzarbeiter – seit dem EU-Beitritt Polens im Mai 2004 tun sie es ganz legal, mit Gewerbeschein und versteuert nach deutschem Recht. Erleichtert wird das durch eine ebenfalls im Jahr 2004 beschlossene Reform der Handwerksordnung: Bei einer Gewerbeanmeldung muss kein Meisterbrief mehr vorgelegt werden. In der Folge sehen sich die Berliner Handwerksmeister mit einem starken Zuwachs polnischer Konkurrenz konfrontiert.
Die offiziellen Zahlen sind beeindruckend: Bis zum EU-Beitritt handwerkten in Berlin lediglich 213 Polen. Seitdem hat sich diese Zahl laut Berliner Handwerkskammer (HWK) auf 1.820 verachtfacht. „Ohne Zweifel gibt es in Berlin ein Verdrängungseffekt“, sagt Handwerkskammer-Sprecher Wolfgang Rink. „Die polnischen Nachbarn können doch auf einer ganz anderen Basis kalkulieren.“ Besonders bemerkenswert findet Rink die wundersame Vermehrung polnischer Fliesen- und Mosaikleger von 10 auf 477: „Wer um Gottes willen hat so viele Fliesen anzukleben?“
Rainer Knerler, Geschäftsführer der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), hat eine einfache Antwort parat: Die Statistik spiegele jetzt auch offiziell die Lage des Handwerks wider. Polen hätten vor dem EU-Beitritt schwarz in Berlin gearbeitet und tauchten deshalb nicht in den alten Statistiken auf. Die Berliner Handwerksmeister stünden schon seit Jahren unter Druck. Sie könnten mit den Preisen der polnischen Konkurrenz nicht mithalten.
„Warum eigentlich nicht?“, fragt sich Maziek Grzybek. Er meldete gleich im Mai 2004 sein Handwerksgewerbe an. „Ich nehme 15 Euro Stundenlohn und kann davon Miete, Strom, Wasser und mein Auto bezahlen“, erklärt der 32-jährige Pole. Er könne nicht verstehen, warum die Deutschen mehr als doppelt so teuer sind. Schließlich könne er mit seiner Kalkulation in Berlin gut leben. Aufträge habe er genug, und seine Kunden seien von seiner guten Arbeit überzeugt.
„Das ist Selbstausbeutung und kein Standard“, sagt IG-Bau-Chef Knerler. Im Baugewerbe gebe es eine einfache Rechnung: Lohnnebenkosten müssten mit mindestens 100 Prozent kalkuliert werden. Das heißt, dass Grzybek tatsächlich für 7,50 Euro Fliesen legt. Der verbindliche Tariflohn liegt in Berlin bei 12,50 Euro. Strafbar macht sich Grzybek deswegen nicht: Schließlich dürfen Selbstständige ihre Arbeit auch unter Tarif verkaufen. Für Knerler geht die Rechnung trotzdem nicht auf: Der polnische Handwerker müsse von 7,50 Euro Material vorfinanzieren, dieses lagern, in seine Ausrüstung investieren – da bleibe unter dem Strich nicht viel übrig. Eine solche Kalkulation klinge unseriös und nach Selbstausbeutung. Ein Fliesenlegerbetrieb müsse im Schnitt mit 30 bis 33 Euro Stundenlohn rechnen. Maziek Grzybek bleibt dabei: „Ich bin zufrieden. In Berlin verdiene ich dreimal mehr als in meiner Heimat.“