AMERICAN PIE
: Ganz nah am Mythos

BASKETBALL Das Interesse an den College-Meisterschaften der Frauen ist in den USA vergleichsweise gering. Für die meisten Akteurinnen markieren sie aber den Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere

Nur auf die allerwenigsten wartet eine Profi-Karriere – und selbst dann wird die Bühne niemals wieder so groß sein

Ein kalter Wind weht übers texanische Grasland und durch College Station. Der Frühling lässt auf sich warten, aber für Kristi Bellock ist momentan sogar „noch Weihnachten und das jeden Tag“. Meint jedenfalls Gary Blair, der Trainer der Basketballerinnen von Texas A&M. Denn seine Flügelspielerin beschenkt ihn – und sich selbst. Mit federleichten Sprungwürfen und geschickten Korblegern hat sie gerade den Gegnerinnen von Wichita State 18 Punkte eingeschenkt, mit ihren Texas A&M Aggies souverän die erste Runde des NCAA-Turniers gewonnen und sich bejubeln lassen. Nicht schlecht für jemanden, der die letzten drei Jahre vor allem auf der Bank gesessen hat. „Ich gehe da raus und gebe alles“, sagt die 23-jährige Bellock nach dem Spiel, „denn das ist mein letztes College-Jahr.“

Vier Jahre dürfen Studierende an amerikanischen Universitäten einem Sport nachgehen. Doch abgesehen vom Football im Herbst ist die Bühne niemals so groß wie im März, wenn die National Collegiate Athletic Association (NCAA) in sechs K.-o.-Runden ihre Basketball-Meister ermittelt. Drei Wochen lang dauert die „March Madness“, bei der die ganze USA mitgeht wie Köln im Karneval. Halbe Bürobesetzungen melden sich krank, Milliarden werden auf die Spiele gewettet und der zwölfseitige Sportteil der USA Today besteht zur Hälfte aus College-Basketball-Berichterstattung.

Als die 64 Frauenteams ihr Turnier beginnen, ist das dem Blatt allerdings nur eine sechstel Seite wert. Ihre Spiele werden zwar auch live im Fernsehen übertragen, aber Kristi Bellock und ihre Kolleginnen stehen eindeutig im Schatten der Männer. Wohl vor allem deshalb fühlt sich in College Station, dem Städtchen im Herzen von Texas, das weitgehend nur aus dem 3.300 Hektar großen Campus für die mehr als 53.000 Studenten der Texas A&M University besteht, die „March Madness“ nicht wie gefährliches Fieber an, sondern eher wie leicht erhöhte Temperatur.

Gekommen sind immerhin 7.225 Zuschauer. Die Reed Arena fasst zwar nahezu doppelt so viele, aber die Stimmung in dem hässlichen Betonwürfel ist trotzdem gut: Dafür sorgen schon die Brass Bands der beteiligten Schulen, die eine halbe Stunde vor dem Tip-Off mit ihrem Bläser-Wettstreit beginnen, und die Texas A&M Yell Leaders, die die Schlachtrufe dirigieren.

Die werden immer frenetischer, als die Aggies nach holprigem Beginn die Wichita State Shockers mit 71:45 schlagen. Trotz des deutlichen Ergebnisses ist das Spiel hart umkämpft. In irrwitziger Geschwindigkeit geht es auf und ab, unter dem Korb herrschen Sitten wie auf der Ringermatte und statt einfacher Würfe gibt es harte Fouls. Körperlos ist auch der Basketball, wie er von Studentinnen gespielt wird, lange schon nicht mehr.

Intensität und Tempo sind auch deshalb so hoch, weil das Spiel für viele Akteurinnen das letzte vor solch einer Kulisse sein kann. Nur auf die allerwenigsten wartet eine Profi-Karriere – und selbst dann wird die Bühne niemals wieder so groß sein. Schon die Teilnahme am Turnier der besten 64 ist für die allermeisten der Höhepunkt ihres Sportlerinnenlebens, „exciting“ die mit Abstand am häufigsten gebrauchte Vokabel. „Sehr aufregend“ findet Chynna Turner von Wichita State das Turnier, „wahnsinnig aufregend“ Kayla Christopher von Chattanooga, „richtig aufregend“ Meghin Williams von Nebraska – und auch Kristi Bellock ist „definitiv sehr aufgeregt“.

Das war dann beim zweiten Spiel zu merken. Nur vier Punkte sammelte Bellock und die Aggies schieden überraschend mit 63:74 gegen die Nebraska Cornhuskers aus. Vorbei der Traum vom zweiten Titel nach 2011, vorbei die Zeit im College für die 23-Jährige, die nach der Niederlage einen leeren Blick durch die Reed Arena schweifen ließ. Drei Jahre lang hatte sie Coach Blair meist auf der Bank schmoren lassen, doch in dieser, ihrer letzten College-Saison hat Bellock ihre Chance genutzt. „Ich werde das alles vermissen“, sagte sie nach ihrem letzten Spiel in der Umkleidekabine.

Mit dem Basketball muss es allerdings nicht vorbei sein. Klubs aus der WNBA, dem weiblichen Gegenstück zur NBA, und aus Europa, hat Blair festgestellt, würden die 1,86 große Flügelspielerin nun beobachten. Aber auch wenn einzelnen Spielerinnen wie Bellock Profiverträge winken: Der Frauen-Basketball entspricht tatsächlich meist noch dem Mythos, den die NCAA dermaßen erfolgreich vermarktet, dass manche Bildungseinrichtung so viel Fernseh- und Sponsorengelder einnimmt, dass sich auch Texas A&M zuletzt einen 23 Millionen Dollar teuren Trainingskomplex nur für die beiden Basketballteams leisten konnte. Die Studenten-Sportler allerdings leben von einem mageren Stipendium, während ihre akademische Ausbildung im Vordergrund steht.

Doch bei den Männern sind diese Ideale an vielen Universitäten längst Makulatur: Skandale sind an der Tagesordnung, Prüfungen werden verschoben, die größten Talente werden mit illegalen Zahlungen gelockt und brechen dann nach ein oder zwei Jahren ihr Studium ab, um einen Profivertrag zu unterschreiben. Probleme, mit denen der Frauen-Basketball nicht zu kämpfen hat – noch nicht. „Ich hoffe, das bleibt auch so“, sagt A&M-Trainer Blair, „hoffentlich wird es bei uns niemals zugehen wie bei den Männern.“

THOMAS WINKLER