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Archiv-Artikel

Wirtschaftswachstum im Waschbrettmuster

KONJUNKTUR Die Wirtschaft stürzt 2009 um 5 Prozent ab und stottert sich erst langsam wieder hoch

Die Krisenfolgen sind absehbar: Kreditklemme, Arbeitslosigkeit, Schulden

BERLIN taz | Dass das Jahr 2009 als das Jahr mit dem stärksten wirtschaftlichen Einbruch in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen würde, war klar. Nun bestätigen die Statistiker: Die Wirtschaftsleistung schrumpfte um 5 Prozent – fünfeinhalb mal so viel wie im bisherigen Minusrekordjahr 1975, als sie um 0,9 Prozent zurückging. Immerhin: Der Absturz ist gestoppt, auch das zeigt die Statistik. Allerdings ist auch unter Ökonomen strittig, wie es nun weitergeht.

Einige Analysten großer Banken wie Goldman Sachs gehen bereits davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP), also die Summe aller hierzulande produzierten Güter und Dienstleistungen, 2010 bereits wieder um gute 3 Prozent zunimmt. Dagegen warnt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, „dass wir in eine relativ flache Entwicklung kommen“, und sagt für 2010 nur ein Plus von 1,6 Prozent voraus. Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel erwartet für die nächste Zeit eine „Waschbrettkonjunktur“, in der sich leichtes Wachsen und Schrumpfen abwechseln – und auch das nur, wenn die Bundesregierung nicht zu schnell aus der Konjunkturpolitik aussteigt.

Ein Grund für die Unsicherheit ist die unklare Linie der Koalition: Ein Teil will Steuererleichterungen, ein Teil sparen, ein Teil beides – eine Antikrisenstrategie fehlt. Zugleich sind viele Folgen der Krise zwar abseh-, aber noch nicht bezifferbar. So fragen die Unternehmen in der wieder anziehenden Konjunktur verstärkt Kredite nach. Die Banken müssen sich aber künftig an striktere Regeln halten, wenn sie diese vergeben wollen: Sie brauchen mehr Eigenkapital. Nicht nur Hickel befürchtet deshalb bald eine Kreditklemme, die für manch ein Unternehmen auch das Aus bedeuten kann.

Zugleich können sich viele Firmen die Kurzarbeit nicht mehr leisten, zumal auch die staatlichen Zuschüsse auslaufen. Das leichte Wachstum dürfte nicht ausreichen, um wieder auf Normalarbeit umzustellen und trotzdem alle Arbeitsplätze zu erhalten. Selbst bei einem steten Wachstum von 2 Prozent würde es noch mindestens bis 2013 dauern, bis die Wirtschaftsleistung von Mitte 2008, also vor dem Ausbruch der großen Krise, wieder erreicht ist. Deshalb rechnen die Experten damit, dass 2010 deutlich mehr Menschen ihre Arbeit verlieren als 2009, die Zahl der Erwerbslosen schätzen sie auf mindestens 4 Millionen, 600.000 mehr als im Schnitt des vergangenen Jahres.

Nach den Daten des Statistischen Bundesamts hatte der größte Einbruch Ende 2008 stattgefunden und noch in die ersten Monate 2009 ausgestrahlt. Im zweiten und dritten Quartal legte das BIP dann wieder leicht um 0,4 und 0,7 Prozent zu. Zum einen nutzten die Notenbanken alle Instrumente der Geldpolitik, um die Märkte mit Geld zu fluten. Zum anderen kompensierte der Staat mit seinen Konjunkturprogrammen wenigstens teilweise, dass sich die Exporte um fast 15 Prozent verringerten und die Unternehmen sogar ein Fünftel weniger investierten.

Unter anderem deshalb gaben Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen 77,2 Milliarden Euro mehr aus, als sie einnahmen. Das sind 3,2 Prozent des BIP. Damit verletzt Deutschland erstmals seit 2005 wieder die Stabilitätskriterien für den Euro, die nur 3,0 Prozent erlauben. Außer dem Staat kauften lediglich die privaten Konsumenten mehr als 2008 – immerhin 0,4 Prozent. BEATE WILLMS