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Archiv-Artikel

In der Funkenhölle

In alten Kasernen des „romantischen Reiterstädtchens“ Verden wurde das größte anzunehmende Weihnachtsunglück nachgestellt: der Tannenbaumbrand. Eine Lektion in vier Kapiteln

von Jens Fischer

Auf diesem Gelände war die Apokalypse schon da. Kein Mensch, nirgends. Hasenköttel als letzte Lebensspuren. Gewaltige Backsteinhausblöcke mit bombensicheren Stahldachkonstruktionen, die gähnend vor sich hinmodern. Alle Türen aufgebrochen, fast alle Scheiben zersplittert. Die Botanik erobert das Terrain zurück, durchwuchert die Fenster, begrünt die Innenräume. Junge Birken versperren die Treppenaufgänge.

In den 1992 von britischen Soldaten verlassenen Shell Barracks hat die Örtliche Feuerwehr des vor Bremen gelegenen Städtchens Verden ein ideales Trainingsareal gefunden. Anstatt mit Disconebel Brandübungen auf Parkplätzen simulieren zu müssen, können an diesem verwunschenen Ort Feuersbrünste nach Herzenslust entfacht und anschließend heroisch gelöscht werden. Jetzt hat der Eigentümer, das Bundesvermögensamt, den zehn Hektar großen Komplex an eine Investorengemeinschaft des Bauunternehmens Mathäi verkauft, die einen Totalabriss und villenartige Bebauung plant. Motto: Wohnen unter den Linden (am Exerzierplatz). Bevor die Bagger kommendes Jahr anrollen, hat sich die Feuerwehr mit einer Demonstration ihrer Leistungsfähigkeit von dem Kasernengelände verabschiedet – und dabei auch als Präventionsarbeiter in Erinnerung gebracht.

„Brandversuch mit Weihnachtsbaum“ nennt sich das finale Feuerspektakel. Einerseits soll es als Warnung fungieren. Nur wer einmal mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Atemwegen gespürt hat, wie der festlich geschmückte Nadelbaum zur lodernden Fackel, durch die explodierenden Harze im Holz gar zur Brandbombe wird, ist sensibilisiert für Gefahren des Weihnachtsfestes. Andererseits sei es eine Einsatzübung, wie Oberbrandmeister Rüdiger Stephan erklärt. Ein reales Ereignis solcher Güte hat es schon seit Jahren nicht mehr im Großraum Verden gegeben.

Im ehemaligen Kaminsaal der Offiziere fegt man den splitternden Putz und die blätternde Farbe hinfort, legt so die schnieken Reste des Parkettfußbodens frei und drapiert darauf eine Blaufichte. Silberne Kugeln, gülden bepinselte Zapfen, Lamettafäden, Strohsterne, Weihnachtswichtel. Echte Kerzen natürlich. Alles da. Auch die Geschenkkartons unterm Baum. Die Uhr an der Wand zeigt fünf Minuten vor zwölf. Die anwesenden Freunde des Kokelns, Zündelns und Löschens kuscheln sich um den Baum, ein Lied auf den Lippen, aber es verlässt diese nicht.

Wenn es noch Fenster geben würde, die man schließen könnte, wäre eine Art von Gemütlichkeit herzustellen. Bis es heißt: „Willy, gib mal Zunder.“ Flämmchen aus dem Camping-Gaskocher attackieren den Baum. Anheimelndes Knistern. Lagerfeuerduft. Aber keine Katastrophe. Nicht mal der extra installierte Rauchmelder will ordentlich piepen. Ein Zahnputzbecher voll Wasser könnte den Brand löschen. Denn der deckenhohe Baum ist nicht im beheizten Wohnraum wochenlang ausgetrocknet, sondern vorschriftsmäßig frisch und saftig, erst vor drei Wochen geschlagen und in einer feucht-kühlen Fahrzeughalle aufbewahrt worden. Merksatz Nummer eins: Tannenbaum immer bis zur letzten Minute auf der Terrasse oder dem Balkon lagern.

Für Merksatz Nummer zwei wird nun Stroh unter der Fichte verteilt. Keine 30 Sekunden – und die Äste knallen, als wäre Silvester. Der Raum wird zur Räucherhöhle. Romantischer Funkenflug und apokalyptischer Ascheregen. Der ins Freie quellende Dampf animiert die umstehenden Bäume, sich ihrer letzten Blätter zu entkleiden. Insgesamt ein Anblick so erwärmend, dass man die Abwesenheit von Glühwein in der Kasernenruinen-Kälte glatt vergisst. Aber auch bemerkt, dass der herumliegende Weihnachtstüdel Feuer fängt. Also merke: Dem Baum einen sicheren Stand geben und nichts Brennbares in der Nähe aufbewahren.

Übrig bleibt ein klägliches Baumgerippe. Zwei Feuerwehrmänner in vollem Ornat mit Luftflasche und Gasmaske kriechen heran, um wenigstens einen unschuldigen Teddy, Woolworth-Modell (3.99 Euro), zu retten. Langsam und sinnig wird Wasser verspritzt. Zu spät. Bärenohren, Bärenkopf: ein Flammenmeer. Und dann: Aschematsch. Begräbnisstimmung. Das Löschfahrzeug lässt ein Tatütata erschallen. Merksatz Nummer drei: Immer Feuerlöscher, Löschdecke und Telefonnummer 112 parat haben, Kerzen nie aus den Augen lassen.

In Verden hat der Tannenbaumbrand das Abbruchhaus noch abbruchreifer gemacht, das Problembewusstsein aber geschärft. Die Villen können kommen. Die Uhr steht immer noch auf 11.55 Uhr. Frohes Fest. Für alle. Auch für die Feuerwehr Verden: Die will Weihnachten ganz normalen Dienst schieben. 26 Kameraden stehen unterm Tannenbaum bereit, mit dem Funkmelder zum Einsatz gerufen zu werden. Bei Großbränden können auch 77 freiwillige Helfer mit zehn Wagen ausrücken.

Rainer Stephan beugt dem weihnachtlichen Besuch seiner Kollegen auf klassische Art vor: „Ich habe elektrische Kerzen am Baum, schon wegen meiner Katze.“ Sie könnte Kerzenfeuer für lebendige Spielobjekte halten und nicht nur sich dabei die Pfoten verbrennen. Aber Achtung, beschwört der Oberbrandmeister, und das wäre Merksatz Nummer vier: Auch Lichterketten sind gefährlich.

Infos: www.feuerwehr-verden.de