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Archiv-Artikel

Reporter hinter Gittern

Der Pulk staut sich,steht ein Türflügel längerals 20 Sekundenoffen, fiept’s „Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seidzu mir gekommen“(Matthäus 25)

AUS HÜNFELD HEIDE PLATEN

Hohe Gitter rundherum, Nato-Drahtrollen, ein doppelter Laufgang. Die schweren Tore öffnen und schließen sich lautlos, der Bus rollt in den Innenhof. Das hessische Justizministerium hat zur „Nacht hinter Gittern“ in die funkelnagelneue Justizvollzugsanstalt am Rande des Rhön-Städtchens Hünfeld eingeladen. Zahnbürste und „sonstige übliche Dinge“ sind mitzubringen, Bettzeug und Handtücher werden gestellt. Der neue Justizminister Jürgen Banzer reist mit, zur Einweihungsfeier am nächsten Tag wird Ministerpräsident Roland Koch erwartet.

Das Gepäck wird ausgeladen, eifrige Justizbeamte schleppen es in Richtung „Kammer“. Das ist der Ort, an dem Strafgefangene zum Haftantritt ihre private Kleidung abgeben. Sie wird protokolliert, etikettiert, verplombt und bis zur Entlassung verwahrt. Das Journalistengepäck bekommt lediglich ein Schildchen und wird auf die Zelle transportiert, wie im Nobelhotel. Keine ärztliche Untersuchung, keine Dusche, keine Anstaltskleidung. Dies soll, hatte Justizminister Banzer im Bus gesagt, „kein Event“ werden, Ort und Anlass stünden nicht dafür. Auch Pressesprecher Stephan Fuhrmann sagt, man habe die Gestaltung sehr wohl erwogen, „kein realer Tag“, keine Knastnacht „eins zu eins“ also. Sei’s drum, schwere Türen schließen sich im Wechselrhythmus, teilen die langen, weißen Gänge in Segmente; ehe die eine elektronisch geöffnet werden kann, muss sich die andere geschlossen haben. Der Pulk staut sich, steht ein Türflügel länger als 20 Sekunden offen, fiept’s, so hoch wie eine übersteuerte Lautsprecheranlage.

Anstaltsleiter Werner Päckert, ein Bär von einem Mann mit gemütlichen, kleinen Blauaugen und Schnauzbart, erläutert das Konzept. Die vier Trakte sind voneinander abschottbar, münden im rechten Winkel auf die Hauptachse, die er „Vollzugs-Madrigale“ nennt. Die Bereiche A bis D sind farblich gekennzeichnet, zitronengelb, orange, grün, rot. Trotzdem macht der erste Rundgang orientierungslos, Treppenflure inbegriffen sieht alles hinter jeder Ecke aus, als sei man hier schon mal gewesen, viel Kunstlicht, Holz, Edelstahl, breite Flure, hohe Türen, ein Labyrinth, großzügig, modern und uniform wie Bürgerhaus und Volkshochschule.

Im Januar werden die ersten 50 Gefangenen in das Modellprojekt, das erste teilprivatisierte Gefängnis Deutschlands, einziehen. Im Februar sollen alle 502 Anstaltsplätze belegt sein, die Häftlinge so sicher verwahrt wie sonst nirgendwo. Auch darüber hinaus wird die Öffentlichkeitsarbeit weitergehen, seit Anfang Dezember so offensiv wie selten im sicherheitsrelevanten Bereich. Feierliche Einweihung, Tage der offenen Tür für die Bewohner des angrenzenden Ortsteils Molzbach, für die Medien, für die Bediensteten und ihre Angehörigen, am dritten Advent kam ganz Hünfeld. „Wartet nur“, brummelt ein Privatfernsehmann, „wenn hier der Erste abhaut, dann sind wir wieder da.“ Und die alten Bilder auch, die mit den stolzen Reden, den freundlich-hellen Zellen, der edelstahlblinkenden Küche, den Fitness- und Sportanlagen.

Das Ministerium ist auf Verwöhnkurs, Sekt, Saft, kalte und warme Platten, Lachs, lange und kurze Reden: Justizminister, Bauleitung, Anstaltsleiter, Bürgermeister. Jürgen Banzer gibt die Richtung vor. Die Teilprivatisierung habe schon beim Bau 5 Millionen Euro eingespart. 116 Justizvollzugsbeamte und 95 Angestellte der Firma Serco GmbH, Tochter einer englischen Sicherheits- und Dienstleistungsfirma, sollen sich die Arbeit teilen, 55 Prozent der nach Katalog gelisteten Aufgaben bleiben staatlich, 45 werden privat verrichtet. Das Gewaltmonopol, versichert der Minister, wird „beim Staat bleiben“.

Der Abend mündet im „gemütlichem Beisammensein“ auf Station A2. Wieder Schnittchen, Warmes, Wein, Bier. Justizminister Banzer ist gerade mal ein paar Wochen im Amt, weil sein Vorgänger Christean Wagner neuer Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion wurde. Aber Wagner ist auch gekommen, denn eigentlich ist die Anstalt sein Kind. Er freut er sich den ganzen Abend lang: „Das ist einer der schönsten Tage meines Lebens!“ Bürgermeister Eberhard Fennel erinnert an all die Widrigkeiten, die Umstände, bis der erzkatholische und konservative Standort Hünfeld den Zuschlag bekam (siehe Kasten).

Zu später Stunde freut sich Fennel über ein Ständchen der Mitglieder der Landespressekonferenz, denen der Abend gemischte Gefühle bereitet. Mit voll tönenden Stimmen und ein bisschen anzüglich singen sie im Chor: „Flieg Gedanke, getragen von Sehnsucht, lass dich nieder in jenen Gefilden, wo in Freiheit wir glücklich einst lebten“: „Teure Heimat, lebe wohl!“ Fennel ertränkt den Journalistenchor im „Katholischen“, dem einheimischem Birnen-und-Kräuter-Schnaps. Die Nacht wird lang, kein Einschluss um 19 Uhr für die Journalisten. Serco hat Service vom Feinsten verordnet.

Auf dem gelb-weiß gestreiften Kopfkissen liegt ein Schokoladennikolaus, auf dem hellen Holzbord, das den Häftlingen als Tisch dienen wird, steht ein Teller mit Obst und Süßigkeiten. Der Eisschrank ist mit Getränken gefüllt wie eine Mini-Bar. Der Eisschrank, hatte Anstaltsleiter Päckert zuvor erklärt, sei kein Luxus, sondern mittlerweile Standard in allen Gefängnissen. Gefangene haben wenig Eigenes, sie horten Lebensmittel, lagern sie auf dem Fensterbrett, das aber zieht Insekten an. Im Sommer kühlen sie zudem ihre Getränke unter fließendem Wasser im Zellenwaschbecken. All das werde mit dieser Innovation verhindert. Andere Neuerungen moderner Anstalten dienen der Menschenwürde, viele Einzel-, wenige Gemeinschaftszellen, während des Tages offene Hafträume mit eigenem Schlüssel, kein Klo in der Ecke, sondern ein abgetrennter Toilettenraum. Einer der Fensterflügel lässt sich öffnen, ist allerdings mit stählernem Lochblech gesichert, kein Pendeln also, kein Weitergeben von Nachrichten und Gegenständen an Bindfäden über die Stockwerke, dafür aber Blick auf die begrünten Dächer des Zwischentrakts, winterkahle Büsche auf braunem Substrat.

Die Häftlinge auf der anderen Seite des Ganges werden Aussicht haben auf einen der Innenhöfe, Freigang täglich eine Stunde in schnörkellosem Ambiente. Keine geheuchelte Natur, japanisch minimalistisch gestaltet wie die Ruhezone eines Versicherungskonzerns, fünf schlichte Betonbänke, drei kleine Bäume, ein Beet Buchsbaum in Reih und Glied zwischen Bodenflächen aus grauem und rotbraunem Kies, Natur- und Pflastersteinen.

In Zelle 107 fällt die Tür zu, sollte sich eigentlich von innen mit einem Knauf öffnen lassen. Nur dass das nicht funktioniert, denn der Griff ist klein, lässt sich schwer bewegen, er klemmt. Eingesperrt! Rufen zwecklos und das Handy im Reisebus vergessen. Draußen Geräusche mit lautem Echo wie in jedem anderen Gefängnis auch, Schritte hallen, schwere Türen fallen zu. Die Gegensprechanlage mit dem roten Licht soll im Notfall direkt mit der Zentrale verbinden. Knopf drücken, keine Reaktion. Mein Monolog wird drängender, ärgerlicher. Draußen steht schließlich noch meine Tasche mit dem Gutenachtkrimi, den Zigaretten, den „sonstigen üblichen Dingen“.

Nach langen zehn Minuten echten Knastgefühls öffnet eine freundliche Wachtmeisterin und ich erfahre: „Anderen ist es mit dem Knauf auch nicht anders ergangen.“ 7.30 Uhr Wecken per Lautsprecher: „Die Nachtruhe ist beendet!“ Die Gefangenen werden um 5.45 Uhr geweckt werden. Der Morgen ist mäßig grau, der Knauf dreht sich, barfuß in die Gemeinschaftsdusche für Männer geschlappt, Handtuch vergessen, die Armbanduhr mitgeduscht. Zum Frühstück Serco-Service, drei Sorten Eier, gebratener Schinken, Lachs und die Klagen der Gäste: Es war zu laut, die Matratzen zu hart, draußen zu viel Scheinwerferlicht.

Die Einweihungsfeier im Mehrzweckraum ist hochkarätig besucht, Staatssekretäre aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt und der thüringische Justizminister Harald Schliemann sind interessehalber angereist. Den nachdenklichen Teil handelt Ministerpräsident Roland Koch schnell ab. In den damals 16 hessischen Gefängnissen, so Koch, habe er 1999 eine Überbelegung von 25 Prozent vorgefunden. Der Neubau schaffe endlich Abhilfe, hoheitliche Rechte sollen nicht angetastet werden. Des Staates bleibe auch im teilprivatisierten Gefängnis, was von Gesetzes wegen des Staates sei und was der besser könne. Privatisierung aber sei nicht zu verteufeln, sondern effizient und Kosten sparend, 660.000 Euro pro Jahr.

Ein evangelischer Geistlicher sitzt in der dritten Reihe. Sein Habit ist Unbehagen, bis sein katholischer Kollege, der Fuldaer Prälat Roland Hofmann, dem Einsegnungstext, Matthäus 25, situationsgerechte Interpretation angedeihen lässt: „Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet … Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen“. Die „letzte innerliche Würde“ des Menschen, sagt Hofmann, sei „unveräußerlich“. Was auf der Welt in „manchen Gefangenenlagern“ geschehe, „das passt nicht in die christliche Landschaft“. In der neuen Anstalt gehe es um Menschen, „deren Leben bisher nicht geglückt“ sei und die deshalb der besonderen Nächstenliebe bedürften.

Nachspiel: Das Corpus Delicti ist klein, ein einfacher Schlüssel mit einem weißen Plastikanhänger: A2 HR-107, Block A, zweite Etage, Haftraum 107. Vergessen in der Hosentasche, ein Souvenir wie aus einem Ferienhotel, das postwendend zurückgeschickt werden muss an die Adresse JVA, Molzbacher Str. 37, 36088 Hünfeld.