: Zwei höchst innige Sozialisten
KORRESPONDENZ Die deutsch-deutsche Freundschaft zwischen Heinar Kipphardt und Ernst Busch im Briefwechsel
Es ist still geworden um Heinar Kipphardt, dabei war der 1982 verstorbene Dramatiker und Prosaist bereits zu Lebzeiten einer der bekanntesten Autoren deutscher Sprache. Doch das sogenannte Dokumentartheater, das er in dem Stück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ schon 1964 zu seiner höchsten Ausprägung führte, ist heute unbeliebt an den deutschsprachigen Bühnen, der in den Dokumentarstücken wirkende historische Geist steht dem „Ich finde das irgendwie scheiße jetzt“-Theater, das derzeit als höchste Form der Gesellschaftskritik gilt, konträr entgegen. Kipphardts Theater zwingt die Schauspielenden zum Rollenspiel, nicht zur Darbietung sportlicher Sensationen.
Fast ebenso vergessen ist inzwischen der singende Schauspieler Ernst Busch, nach dem zwar die bedeutendste Schauspielschule Deutschlands benannt ist, dessen Liedinterpretationen jedoch kaum noch gehört werden.
Und selbst die wenigen Fans des einen wie des anderen wussten nichts von der innigen Freundschaft zwischen beiden, die Ende der fünfziger Jahre in der DDR begann. Und bis zum Tod Buschs im Jahr 1980 währte, obschon Kipphardt die DDR, in die er 1950 als überzeugter Sozialist übersiedelt war, verlassen hatte und Besuche bei Busch in Ostberlin ihm durch die DDR-Behörden fast immer verunmöglicht wurden.
Umso interessanter ist es nun, in dem Band „Lieber Ernesto, lass Dich umarmen“ zu lesen, den die Busch-Experten Carola Schramm und Jürgen Elsner herausgegeben haben. Beide zeigen sich selbst verwirrt, wie innig das Verhältnis der überall aneckenden Sozialisten war, und wie gesprächig sich der sonst so verschlossene Busch in einigen Briefen zeigte – was nicht heißt, dass Busch lange Briefe schrieb.
Kipphardt hingegen schreibt ausführlich an den 22 Jahre älteren, sehr verehrten Schauspieler, zunächst als Dramaturg, später als Freund, der allerdings immer wieder versucht, sich für Busch in Westdeutschland einzusetzen.
In Kipphardts Briefen werden auch die Schwierigkeiten deutlich, mit denen der für Lobhudeleien nicht zu habende Autor im Osten wie im Westen zu kämpfen hatte. Nach Querelen um seine Tätigkeit am Deutschen Theater in Ostberlin nahm er 1959 eine Arbeit im Westen an, zunächst mit der Idee, zurückzukehren. Dort wurde sein Aufenthalt wiederum zur Kritik an der DDR genutzt, Kipphardt stand plötzlich zwischen den Fronten. Selbst das Zentralkomitee der SED beschäftigte sich mit der Affäre, schließlich wurde Kipphardt im Osten zur persona non grata.
Im Westen wiederum sah er sich ebenfalls zahlreichen Attacken ausgesetzt. Bis heute etwa behauptet Günter Grass wider besseres Wissen, dass Kipphardt Anfang der 70er Jahre zur Ermordung von SPD-Politikern aufgefordert habe – in diesem Fall stellten sich viele Ensemblemitglieder des Münchener Kammerspiels hinter Kipphardt und verließen es, als dieser entlassen wurde.
Ernst Busch, der sich derweil für Kipphardt in der DDR einsetzt, muss noch einmal spüren, wie sehr man ihn als international erfolgreichen Künstler schätzt, als politischen Menschen jedoch ignoriert. So fragt er sich 1976, ob sich das Arbeiten an neuen Plattenaufnahmen überhaupt noch lohnt: „Ich könnte Schluß machen mit der Singerei!“ „Kipp“, der Adressat, muntert auf, kritisiert jedoch auch.
Oft versichern sich beide nur, dass sie aneinander denken – manchmal muss dies Irene Busch übernehmen, ihr Mann ist nicht einmal zur Unterschrift zu bewegen. Trotz des vielfach privaten Charakters der Korrespondenz allerdings ist der vorbildlich edierte Briefwechsel sehr aufschlussreich – zeigt er doch, dass in beiden politisch denkenden Paaren, bei Pia und Heinar ebenso wie beim „Gebüsch“, dass Privilegien durchaus genossen, sie aber nie ohne die Gesellschaft gedacht werden. Das macht selbst die Mitteilungen über die Kinder, über Gebrechen oder Urlaubserlebnisse äußerst lesenswert. JÖRG SUNDERMEIER
■ Heinar Kipphardt, Ernst Busch: „Lieber Ernesto, lass Dich umarmen“. Wehrhahn Verlag, Hannover 2012, 220 Seiten, 20 Euro