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Archiv-Artikel

Gift statt Gnade

VON BERND PICKERT

35 Minuten nachdem Stanley „Tookie“ Williams um 0.01 Uhr kalifornischer Zeit die achteckige Hinrichtungskammer im San-Quentin-Gefängnis betreten hatte, wurde er offiziell für tot erklärt. Zwölf Minuten hatte es gedauert, bis die Henker am muskulösen linken Arm des früheren Bodybuilders eine Vene gefunden hatten, in die sie die Nadel versenken konnten, durch die Minuten später das Gift strömte. Zwölf Minuten, in denen Williams, bereits auf der Liege festgeschnallt, seinen Kopf aufrecht zu halten versuchte, seine Freunde und Unterstützer und die Medienvertreter unter den 39 Zeugen im Zuschauerraum ansah. Zwölf Minuten, in denen er die Henker fragte, ob sie es wohl bald mal hinbekämen. Dann das Gift. Der Brustkorb hebt und senkt sich schwer, der Kopf fällt nach hinten, die Bauchmuskeln zucken, dann nichts mehr. Zehn Minuten lang Stille im Zuschauerraum. Dann erklärt der Sprecher des Hinrichtungskommandos den offiziellen Todeszeitpunkt für 0.35 Uhr, die Zuschauer verlassen den Raum. Im Hinausgehen rufen Barbara Becnel, Williams’ enge Freundin und Koautorin, und zwei andere seiner Unterstützer: „Der Staat Kalifornien hat gerade einen unschuldigen Menschen getötet.“ Lora Owens, die Stiefmutter eines der mutmaßlich von Williams getöteten Opfer, bricht in Tränen aus.

So haben es Minuten später die 15 Reporter unterschiedlicher Medien erzählt, die bei der Hinrichtung zugegen waren. Letzte Worte hat Williams nicht gesagt. Eine Henkersmahlzeit wollte er nicht, nur Wasser und Milch habe er getrunken, wird erzählt.

Vorausgegangen war ein Tag der Enttäuschungen für all jene, die Williams’ Leben zu retten gehofft hatten. Sie hatten gehofft, Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger, den Williams nach eigener Erzählung in den 70er-Jahren ein paarmal im Fitness-Center getroffen hatte, würde Gnade gewähren, würde anerkennen, dass Williams sich in den Jahren gewandelt habe, würde womöglich Zweifel an der Verurteilung des schwarzen Gang-Gründers durch eine reine weiße Jury haben und die Todesstrafe in lebenslange Haft umwandeln. Vergeblich.

In einer fünfseitigen Stellungnahme (Auszüge siehe unten) begründete Schwarzenegger am Sonntagabend, warum er keinen Grund sehe, Williams Gnade zu gewähren. Nicht nur sei die angebliche Läuterung Williams’ nicht glaubwürdig. Vor allem die Tatsache, dass er die Morde nie eingestanden und sich dafür nie entschuldigt habe, schließe eine Begnadigung aus.

Auch der Oberste Gerichtshof der USA hatte einen letzten Eilantrag auf Aufschub der Hinrichtung abgelehnt – ohne eine Begründung zu liefern.

Entsprechend pünktlich setzte sich die Tötungsmaschinerie in Bewegung, trotz aller Proteste. Seit Tagen schon hielten hunderte, in der Nacht dann tausende von Todesstrafengegnern vor dem San-Quentin-Gefängnis eine Mahnwache ab. Die Sängerin Joan Baez sang auf einer improvisierten Bühne „Swing Low, Sweet Chariot“. An der Mahnwache beteiligten sich auch die Schauspieler Sean Penn und Mike Ferrell sowie der Pastor und Bürgerrechtler Jesse Jackson, der Williams am letzten Tag seines Lebens mehrmals besuchte.

„Ich habe einen Menschen sterben sehen, und ich frage mich, was wir dadurch gewinnen“, kommentierte gestern der Reporter Steve Lopez von der Los Angeles Times die Hinrichtung. Doch in den – nicht repräsentativen – Umfragen auf den Internetseiten mehrerer US-Zeitungen dominierte die Meinung, Williams, der Mitbegründer der berüchtigten Gang „Crips“, verdiene den Tod.