: Ian der Eroberer
Er zuckt, zappelt und verführt mit honiggoldenem Timbre: Tenor Ian Bostridge macht jetzt auch den Norden süchtig
Nein, mit den landläufigen Klischees vom exaltiert schmetternden Herzschmerztenor verbindet den eigenwillig introvertierten Briten Ian Bostridge wirklich nichts. Dennoch ist dieser singende Antiheld inzwischen zum Star geworden. Der bohnenstangig-linkische Sympath, der mit anrührender Steifbeinigkeit auf die Bühne starkst, injiziert dem Publikum das süße Gift seiner Stimme tief unter die Haut. Wer einmal geimpft wurde, will mehr Bostridge – ein Leben lang.
Im Norden gab es allerdings bislang kaum Gründe, süchtig zu werden. Das könnte sich nun ändern: Am Dienstag bezwang Bostridge Bremen mit einem Schubert-Abend im Konzerthaus „die Glocke“, die Eroberung Hamburgs hat er sich fürs kommende Jahr aufgespart.
Allein schon Bostridges körperlichen Exaltationen sind ein Ereignis: Sein hagerer Leib will einfach keine Ruhe geben, er zuckt, er bebt, er beugt und windet sich. Seine zerbrechlichen Hände verkrallen sich ineinander oder tasten haltsuchend nach dem Flügel, als wäre der ein rettendes Stück Treibholz. Er will verkörpern, was er singt. Er wirkt betroffen – und macht betroffen. Weil er so verdammt echt ist? Oder weil er seine Emotionen so verdammt wirkungssicher durchchoreografiert hat?
Vielleicht liegt es an beidem. Wenn sich Bostridge beim Singen immer und immer wieder die Strähnen aus der Stirn wischt oder sich wie ein Träumer die Augen reibt, dann merkt man, dass er alles um sich herum vergessen hat. Als gäbe es nur ihn, seinen unglaublich hellhörigen Klavierpartner Julius Drake – und Schubert. Bostridges lyrische Tenorstimme setzt sich raffiniert und makellos in Szene, sie verführt mit dem zarten Schmelz ihres honiggoldenen Timbres. Das schmeichelt den Ohren, das streichelt die Seele – mehr davon, viel mehr!
Daniel Behrendt
Mehr von Ian Bostridge am 26. 01., Laeiszhalle Hamburg, 20 Uhr.