Deichkind über neues Album: „Spaß ist ein Vehikel zur Freiheit“

Auf „Niveau Weshalb Warum“ singt die Hamburger Band Deichkind über innere Zwänge und Erste-Welt-Probleme. Und erklärt nebenher das Phänomen Pegida.

Improvisieren nur wenig auf der Bühne: Deichkind. Bild: Deichkind

taz: Am Freitag erscheint Ihr neues Album „Niveau Weshalb Warum“. Warum wird darauf die endlose Deichkind-Party weitergefeiert?

Kryptik Joe: Deichkind ist nun mal bekannt für Konzerte, die wie riesige Partys funktionieren. Aber es geht uns auch um mehr. In den Texten der Songs auf dem neuen Album spielen Zweifel, Ängste und innere Zerrissenheit eine Rolle. Es geht um Situationen wie diese: Du hast Bock, einen Burger von McDonald’s zu essen, weißt aber, dass das nicht gut ist. Wir wollten sogar eine Nummer schreiben, die „Der innere Papst“ heißt, aber das war uns dann doch irgendwie zu plump.

So äußert sich das Thema etwas subtiler, etwa in dem Song „Mehr als lebensgefährlich“, in dem es um sogenannte „First World Problems“ geht. Ist das Ladekabel überhitzt? Die Avocado zu reif? Belanglosigkeiten, um die man sich nur in einer Wohlstandsgesellschaft sorgt.

Porky: „Mehr als lebensgefährlich“ ist vor allem auch ein Song über das Rudiment des inneren Alarmknopfs: Früher gab es sehr viele reale Gefahren. Da stand ein Heer vor der Burg oder du hast dich an einem Dorn gepiekst und bist an einer Infektion gestorben. Heute gibt es solche Bedrohungen nicht mehr, aber der Körper hat sich nun mal viel langsamer entwickelt als die Gesellschaft. Die Menschen sitzen im Café mit ihrem Latte und denken immer noch: Irgendwas stimmt nicht. Irgendwas ist nicht richtig. Da, ein Stechen im linken Arm! Der Alarmknopf ist übrig geblieben, aber da ist keine Gefahr mehr. Vielleicht erklärt das auch das Phänomen Pegida.

Inwiefern?

Porky: Die Menschen denken, da muss doch irgendwas sein. Warum ist denn alles scheiße in meinem Leben? Und dann meinen sie, den Grund dafür gefunden zu haben.

Sehen Sie sich als eine Art kritisch-ironische Beobachter des harmlosen Alltags?

Porky: Ja, das ist das Einzige, was wir können. Da haben wir tierisches Glück, dass das so eine große Menge an Menschen anspricht.

Kryptik Joe: Oft werden wir gefragt, ob wir politisch seien. Aber mit dieser Zuschreibung tue ich mich schwer. Jeder von uns hat seine Meinungen, die fließen natürlich mit ein. Aber einen Song über die CSU zu machen, das wäre uns zu direkt. Wir liefern den Hörern lieber Bilder als vorgekaute Meinungen.

Von Subtilität und Nachdenklichkeit ist bei Ihren Bühnenshows aber nicht viel zu merken. Es geht dabei um den großen Exzess, und genau deshalb sind sie beliebt.

Deichkind wurde 1997 in Hamburg gegründet und landete 2000 mit „Bon Voyage“ den ersten Hit. Von der ursprünglichen Band ist heute noch Philipp Grütering (Kryptik Joe) übrig. 2005 stieß Sebastian Dürre (Porky) dazu. Seit 2008 ist die Band in ihrer jetzigen Konstellation mit Sascha Reimann (Ferris MC) unterwegs. Zu den bekanntesten Songs zählen „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“, „Arbeit nervt“ und „Leider Geil“.

„Niveau Weshalb Warum“ (Sultan Günther Music/Universal) ist Deichkinds sechstes Album. Soundmäßig knüpft es mit eingängigen Dance-Beats mit Hang zum Trash an seine Vorgänger an. Thematisch geht es um Netzkultur und die Unmöglichkeit, sich ihr zu entziehen („Like mich am Arsch“) und Anflüge von Renitenz („Oma Gib Handtasche“). (cb)

Porky: Wir erschaffen dabei kleine Inseln der Freiheit. Das ist auch eine Form von Spiritualität.

Spiritualität und Bierzitze, wie geht das denn zusammen?

Porky: Wer sagt denn, dass es Spiritualität nur in der Form geben kann, in die sie gesellschaftlich gezwängt worden ist? Wir knacken die vorgekauten Formen auf und verändern sie. Deichkind als Formwandler der Spiritualität!

Kryptik Joe: Natürlich sind die Shows vor allem hedonistisch. Aber der Spaß ist immer auch Vehikel zur Freiheit. Wir haben uns da selbst viel mit auseinandergesetzt, als wir mit dieser Art Shows anfingen: Was ist da eigentlich passiert? Was hat das mit uns gemacht? Für uns war das wirklich eine Befreiung.

Bedienen Sie damit auch ein durch die Kontroll-Mediengesellschaft vorangetriebenes Bedürfnis nach Ausbrechen?

Porky: Es ist ein Aufbrechen, kein Ausbrechen. Denn wir sind uns schon bewusst, dass wir da selber drinhängen. In unserem Song „Like mich am Arsch“ etwa geht es um die schwierige Befreiung vom Social-Media-Zwängen. Ich liege am Elbstrand und sage mir: Jetzt klapp’ ich aber den Laptop zu. Und nach zwei Minuten fingert meine Hand nervös nach dem Smartphone.

Kryptik Joe: Da ist sie wieder, die innere Zerrissenheit. Ich zum Beispiel fahre total auf die App „Runtastic“ ab, Zeit und Strecke beim Joggen aufzeichnet. Das Ergebnis kann ich meinen Facebookfriends mitteilen. Eigentlich ist das voll daneben. Beim Sport soll man die Bewegung genießen, nicht am Smartphone hängen. Wir haben so eine technologisierte Weise, mit uns selbst umzugehen. Aber man kann nicht einfach sagen: Das Internet ist scheiße. Solche Konflikte wollen wir ausdrücken.

Bieten Sie den Leuten also mit Ihrer Musik und den Bühnenshows eine Möglichkeit an, einfach mal abzuschalten?

Kryptik Joe: Das schon, aber wir liefern den Leuten ja keine Goa-Partys ohne Bezüge zur Außenwelt. Unser Fokus liegt immer noch auf den Texten. Deswegen ist Deichkind nicht einfach nur zum Abschalten da. Was wir in den Texten sagen, ist wichtiger als der Sound. So eine Nummer wie „Remmidemmi“ ist soundmäßig ziemlich billo. Das, worum es in dem Song geht, ist das, worauf die Leute anspringen. In gewisser Weise muss man aber auch unsere Arbeit als Band, an den Songs, getrennt von den Bühnenshows betrachten.

Warum?

Kryptik Joe: Die Liveshows sind inzwischen nur noch wenig improvisiert. Natürlich gibt es Freiräume, aber das ist schon alles sehr inszeniert. Kreativ zu sein, als Band, bedeutet aber auch, dass man arbeiten muss, dass es Frustphasen gibt. Irgendwann kommt der Punkt, an dem es Klick macht und es fließt. Auch das ist für mich mit Spiritualität verbunden: Als Band gemeinsam auf der Suche nach diesem Punkt zu sein.

Aber haben Sie inzwischen auch ein Verständnis davon, was den Leuten gefällt. Knüpfen Sie einfach daran an?

Porky: Nicht wirklich. Ich habe noch nie ein Album gemacht, bei dem es keinen Frust und keine Zweifel gab. Musikmachen ist immer ein Wechselbad der Gefühle. Während der Arbeit am Album fragen viele meiner Freunde: Mensch, was ist denn los mit dir? Ich komme manchmal abgekämpft im Studio an. Ich habe da wirklich ganz schlimme Komplexe. Jedes Mal denke ich, ich krieg das nicht hin. Es ist auch ein Riesenglück, dass es dann doch immer klappt.

Ist es also nur dem glücklichen Zufall geschuldet, dass Deichkind auch nach 20 Jahren weiter kreativ ist?

Kryptik Joe: Manchmal glaube ich schon, dass das viel mit Glück zu tun hat. Wenn du mit einer Band anfängst, dann hast du kein Konzept. Man neigt dazu, Musik zu machen, wenn man genau das nicht möchte: einen Plan, wie alles werden soll. Das Ganze hätte genauso gut in den ersten fünf Monaten in den Sand gesetzt werden können. Vielleicht haben wir die richtigen Entscheidungen getroffen, in den richtigen Momenten. Das zeigt zum Beispiel die Geschichte mit der Hüpfburg …

die als beliebtes Element Ihrer Bühnendekoration einen Teil zum Erfolg der Shows beigetragen hat.

Kryptik Joe: Reiner Zufall, dass wir die bekommen haben! Phono (Henning Besser alias DJ Phono, kreativer Kopf der Deichkind-Shows, Anm. der Red.) rief an und sagte: „Ey, ich stehe gerade bei Aldi, es gibt eine Hüpfburg, soll ich sie abgreifen?“ Und wir so: Ja klar. Eine richtungweisende Entscheidung!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.