Alibizeugen unter Verdacht

Im Sürücü-Prozess wirft die Staatsanwaltschaft der Frau und dem Schwager eines Angeklagten Falschaussage vor und lässt deren Wohnung durchsuchen. Verteidiger: Einschüchterung der Zeugen

VON PLUTONIA PLARRE

Die Staatsanwaltschaft hat im so genannten Ehrenmord-Verfahren Sürücü eine schärfere Gangart eingeschlagen. Wie gestern bekannt wurde, ist ein Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau und den Schwager einer der drei Angeklagten wegen Verdachts der uneidlichen Falschaussage eingeleitet. Die 24-jährige Nalan Sürücü und ihr 17-jähriger Bruder Volkan sind entscheidende Alibizeugen von Alpaslan Sürücü. Er ist der zweitälteste von drei Brüdern, die sich seit September wegen Mordes an ihrer Schwester Hatun vor dem Landgericht verantworten müssen.

Die 23-jährige Deutschkurdin Hatun wurde am 7. Februar in Tempelhof auf offener Straße erschossen. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass die drei Brüder ihre Schwester wegen ihres emanzipierten Lebensstils gemeinschaftlich ermordeten, um die Familienehre wiederherzustellen. Der 26-jährige Angeklagte Mutlu soll die Waffe besorgt, der 25-jährige Alpaslan Schmiere gestanden und der 19-jährige Ayhan geschossen haben. Ayhan hat die Tat allein auf sich genommen. Die beiden Älteren bestreiten jegliche Beteiligung.

Alpaslan Sürücü hat sich vor Gericht darauf berufen, am Tattag um 20.55 Uhr – zu dem Zeitpunkt, als Hatun erschossen wurde – zu Hause gewesen zu sein. Seine Frau Nalan und deren Bruder Volkan haben das vor Gericht bestätigt. Fast deckungsgleich erzählten die Geschwister als Zeugen von dem Abend, den man gemeinsam mit Alpaslan verbracht habe. Sie sprachen auch von einem Anruf Ayhans. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung im Februar erwähnten sie davon nichts. Auf die Frage, warum sie dieses wichtige Detail verschwiegen hätten, behaupteten beide unisono, von den Kripobeamten beleidigt und unter Druck gesetzt worden zu sein.

Die Kripobeamten schilderten die Vernehmungssituation indes ganz anders vor Gericht. Von Beleidigungen von ihrer Seite könne keine Rede sein. Die Geschwister seien ihrerseits ausgesprochen unkooperativ gewesen. Insbesondere Nalan sei frech und überheblich aufgetreten. „Der Eindruck verfestigte sich, dass Dinge im Vorfeld abgesprochen waren“, sagte ein Beamter.

Das ist der Hintergrund, vor dem das Amtsgericht am Freitag auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung von Nalan erlassen hat. Das Ergebnis fasste der zuständige Staatsanwalt Matthias Weidling gestern im Sürücü-Prozess so zusammen: Neben „Auszügen aus Ermittlungsakten“ seien in der Wohnung auch Protokolle der polizeilichen Vernehmung der Geschwister gefunden worden. Unterlagen aus Gerichtsakten also, die Zeugen nicht besitzen dürfen. „Solche Dinge wurden dazu benutzt, sich auf die Aussage vor Gericht vorzubereiten“, steht für Weidling fest. „Das hat ein Geschmäckle.“

Die Verteidiger der Angeklagten forderten gestern, den Staatsanwalt wegen Befangenheit abzulösen. Der habe die Zeugen „gezielt mit einschüchternden Maßnahmen überzogen“, empörte sich Alpaslans Verteidiger Matthias Kock. Das gehe so weit, dass der Staatsanwalt die beschlagnahmten Kopien nach „Spurenträgern“ untersuchen lassen wolle, um zu ermitteln, wer sie den Zeugen ausgehändigt habe.

Weidling tue besser daran, vor der eigenen Haustür zu kehren, forderte Kock. Schließlich habe sich der Staatsanwalt mit der Zeugin Melek A. „eine Kronzeugin aufgebaut“, die „entweder vergesslich ist oder die Unwahrheit sagt“. Die 18-jährige Melek war zum Tatzeitpunkt mit Ayan Sürücü liiert. Auf ihre Aussage stützt sich die Anklage, dass alle drei Brüder am Mord beteiligt sind.