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Archiv-Artikel

„Ach, seien Sie nicht so pessimistisch“

Bosnien und Herzegowina brauchen dringend eine Verfassungsreform und wirtschaftliche Initiativen. Das wird nicht schnell gehen, doch es ist auf einem guten Weg, meint der Hohe Repräsentant der UNO, Christian Schwarz-Schilling

taz: Das Abkommen von Dayton beendete 1995 den Krieg in Bosnien und Herzegowina. Aus den Trümmern sollte mit internationaler Hilfe ein neuer Staat entstehen, zudem galt es die Menschen zu versöhnen. Ist das denn bisher gelungen?

Schwarz-Schilling: Wir wissen aus unserer deutschen Geschichte, wie schwierig es ist, über die Vergangenheit zu reden. Wir haben 20 Jahre gebraucht, um die Wörter Auschwitz oder Holocaust überhaupt in den Mund zu nehmen. Ich bin heute den Alliierten noch dankbarer als früher, dass sie anfänglich die volle Verantwortung für unser Land und die Bestrafung der Kriegsverbrecher übernommen haben. Wenn jetzt Leute aus Europa mit erhobenem Zeigefinger nach Bosnien und Herzegowina kommen und sagen, nach zehn Jahren sind die immer noch nicht versöhnt, der Balkan ist eben eine unbelehrbare Region, dann halte ich dies für höchst ungerecht.

In Bosnien muss nun aber alles schnell gehen, sonst ist mittelfristig die Aufnahme in die EU gefährdet.

Immerhin wird Bosnien bald über ein Assoziierungsabkommen verhandeln. Das Land soll auch in die Nato integriert werden. Große Fortschritte wurden also schon gemacht. Doch wir wissen auch um die Mängel, um die Schwächen der Wirtschaft und des staatlichen Aufbaus.

Ihr Vorgänger Paddy Ashdown hat viele Reformen angestoßen, doch manches, wie der Umbau der Polizei, steht nur auf dem Papier.

Ich erwarte von den Institutionen in Bosnien, dass offen und ehrlich gehandelt wird. Ich habe bei all meinen Verhandlungen hier im Lande versucht, Vertrauen aufzubauen. Im Gegenzug müssen die hiesigen Politiker umsetzen, was entschieden ist.

Manche nationalistischen Ideologen lehnen die europäische Perspektive insgeheim ab und versuchen, den Demokratisierungs- und Integrationsprozess zu behindern.

Die Mehrheit der Menschen hier muss Klarheit schaffen. Das bedarf einer öffentlichen Debatte. Und: Die Institutionen des Staates müssen den Beweis führen, dass sie funktionsfähig sind. Nur wenn es nicht anders geht, wenn es sich um Obstruktion handelt, muss der Hohe Repräsentant seine Machtmittel ausschöpfen.

Dayton hat einen komplizierten Staat geschaffen mit ethnisch definierten Entitäten, Kantonen, Gemeinden, sich blockierenden Verwaltungen. Wird es jetzt endlich eine Verfassungsreform geben?

Ich bin den Amerikanern sehr dankbar, dass sie die Frage der Verfassungsreform vorantreiben und dass Donald Hayes, der ehemalige stellvertretende Hohe Repräsentant, sich mit allen bosnischen Parteien und Politikern zusammengesetzt hat.

Das alte System soll sich also selber abschaffen. Wie soll das gehen?

Ach, seien Sie nicht so pessimistisch. Auf alle Fälle gibt es eine Evolution. Denn alle Institutionen des Staates müssen sich nach den neuen Gegebenheiten ausrichten und kompatibel werden für die europäische Perspektive. Die Entitäten, also die kroatisch-bosniakische Föderation und die Republika Srpska, müssen sich in eine moderne Verwaltungspraxis einpassen und sich in ihrer Funktion verändern. Heute beanspruchen die Entitäten das höchste politische Mandat, das ist ein Fehler und so auch nicht von Dayton gewollt. Aber sicher ist, es kann dem Land nicht einfach eine völlig neue Verfassung übergestülpt werden.

Also doch keine Staaten im Staate.

Das waren Staaten statt eines Staates. Erste Priorität wird bei mir die Entwicklung der Wirtschaft haben. Wenn die Leute nichts zu essen haben, wenn manche Leute noch in Zelten leben, wenn Pensionäre ihre Renten nicht bekommen oder Lehrer nicht ihr Gehalt, dann geht etwas schief. Dann kann keine Demokratie überzeugend sein.

Was heißt das konkret?

Wir müssen ein starkes Mittelstandsprogramm für Klein- und Mittelbetriebe und die Landwirtschaft durchführen. Die Zinsen sind heute viel zu hoch. Internationale Geldinstitute sehen Bosnien als eine unsichere Kiste an, was zu Kreditzinsen von 12 bis 20 Prozent führt. Kein Firmengründer kann das bezahlen. Die hohen Zinsen müssen heruntersubventioniert werden. Das Risiko sollte nicht nur von jenen getragen werden, die aufbauen und investieren, sondern auch von den internationalen Institutionen. Mit drei bis vier Prozent Zinsen kann man einen Betrieb aufbauen und insbesondere die Landwirtschaft konsolidieren.

Sie wollen denjenigen Geld geben, die Risiken selbst übernehmen?

Ja, das ist besser als wie bisher große Programme durchzuziehen, deren Mittel durch die internationalen Institutionen selbst aufgebraucht werden. Wenn es uns gelingt, da voranzukommen, klappt es auch mit der Perspektive Europa.

INTERVIEW: ERICH RATHFELDER