: Preußen-Disney statt Opfer-Gedenken
ERINNERUNG Potsdam sucht ein Konzept, wie der Geschichte der Stadt angemessen gedacht werden kann – und provoziert scharfe Kritik
Die Kritik ist heftig: Einseitigkeit in der Erinnerungspolitik wirft Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam vor. „Potsdam war nicht nur am Tag von Potsdam eine herausragende Stadt der nationalsozialistischen Verhetzung und des Terrors“, schrieb Kramer vergangene Woche in einer Stellungnahme an die Stadt. Trotzdem würden die Ursachen und Wirkungen des Nationalsozialismus nur abgeschwächt im Verhältnis zur preußisch-königlichen Geschichte thematisiert.
Der Anlass für Kramers Kritik ist die vor Ort laufende Diskussion um ein Gedenkkonzept für die Stadt. Seit Jahren wird in Potsdam leidenschaftlich darüber gestritten, an welche Menschen und Ereignisse in welcher Form erinnert werden soll. Die Stadtverwaltung will nun im Gespräch mit Bürgern klären, welches Gedenken wie viel Gewicht erhalten soll. Mehr als 100 Vereine, Initiativen, Verbände und Institutionen wurden um Beteiligung gebeten.
Im Vorfeld eines ersten Werkstattgesprächs vor Ostern waren bereits mehr als 40 Stellungnahmen eingegangen – eine davon stammte von Kramer. Und schon da war klar, dass nur in einer Sache Einigkeit herrscht: Ein gemeinsamer Gedenkort für die Opfer der verschiedenen Regime wird abgelehnt.
In der Debatte überlagern sich aktuelle Konflikte und die vielschichtige Historie der Stadt. Beispiel dafür ist der gefühlt endlose Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche. In dem barocken Gotteshaus wurde am 21. März 1933 die Eröffnung des neu gewählten Reichstags gefeiert, Hitler gab dort eine Regierungserklärung ab. Für Stephan Kramer wäre ein Baustart der Garnisonkirche daher ein schlechtes Zeichen: Der Wiederaufbau sei äußerst negativ-symbolträchtig, sagte er.
Doch um ebendiesen Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten und 1968 abgerissenen Kirche bemühen sich verschiedene Initiativen. Bei den Freunden einer möglichst originalgetreuen Umgestaltung der Innenstadt stoßen sie auf Zustimmung. Der frühere Ratschef der evangelischen Kirche Deutschlands, Wolfgang Huber, bezeichnete den Wiederaufbau gar als ein Projekt von nationaler Bedeutung.
Schon länger arbeitet Potsdam kontinuierlich daran, die architektonischen Zeugnisse der DDR aus der Innenstadt zu entfernen. Das wiederaufgebaute Stadtschloss im Zentrum feierte im vergangenen November Richtfest – Fassade und Kupferdach bezahlt von Softwaremilliardär Hasso Plattner. Nebenan sollen schmucke historische Stadtpalais gebaut werden. Das Gebäude der Fachhochschule aus den 70er Jahren muss hingegen weichen. Viele wünschen sich das auch für das Hotelhochhaus gleich gegenüber. Die Gegner der Restaurierung nennen die Stadt deshalb gern Preußen-Disney.
Nächste Gesprächsrunde
Die Erinnerung an die frühere jüdische Gemeinde der Stadt kommt Kramer dabei zu kurz: Sie beschränke sich auf die Gedenktafel für die ehemalige Synagoge, den jüdischen Friedhof mit seiner Trauerhalle und mehrere Stolpersteine für NS-Opfer. Mit seiner Kritik steht er nicht allein: Auch das Moses-Mendelssohn-Zentrum (MMZ) an der Potsdamer Universität verlangt mehr Erinnerung an jüdisches Leben im Stadtbild. Wünschenswert sei dabei etwa die Erinnerung an verdiente Jüdinnen und Juden bei der Benennung neuer Straßen. Dabei könne Potsdam sich auch durch das Gedenken an jüdische Gelehrte als Wissenschaftsstandort stärker profilieren.
In der Stadtverwaltung ist man vom Unmut nicht überrascht. „Es war klar, dass es auch Kritik geben wird. Damit werden wir uns auseinandersetzen“, so Sprecher Stefan Schulz. „Gefreut hat uns, dass Herr Kramer uns dafür lobte, dass wir die Vorreiter in Deutschland dafür sind, Initiativen und Verbände aktiv an der Gestaltung eines Gedenkkonzepts zu beteiligen“, so Schulz.
Der Streit über das Gedenken wird weitergehen: Zunächst haben sich Arbeitsgruppen gebildet. Mitte Juni soll es die nächste Gesprächsrunde geben, kündigte Moderator Thomas Schaarschmidt vom Zentrum für zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam an. MARCO ZSCHIECK