: Feindbild der Nationalisten
KURDEN Sie saß im Gefängnis und gewann trotzdem die Wahl. Dann wurde ihre Partei verboten. Nun war die Abgeordnete Sebahat Tuncel in Bremen zu Gast
„Die Türkei sagt, dass es ein Kurden-Problem gar nicht gibt“, klagt Sebahat Tuncel. Doch ihre eigene Biographie beweist das Gegenteil. Die junge Kartografin, die am Mittwoch im Konsul Hackfeld-Haus sprach, ist in der Türkei eine politische Berühmtheit: Nachdem sie sich neun Jahre in – legalen – kurdischen Organisationen engagiert hatte, steckte man sie wegen angeblicher PKK-Kontakte ins Gefängnis. Aus der Haft heraus kandidierte Tuncel dennoch bei den Parlamentswahlen 2007 für den dritten Wahlbezirk Istanbuls – und gewann. Das hat vorher in der Türkei noch niemand geschafft. Nebenbei war die Alevitin da mit 31 Jahren auch noch die jüngste Abgeordnete in der Geschichte der Türkei.
Der kurdische Verein Birati hatte Tuncel zusammen mit dem Friedensforum nach Bremen eingeladen, und weit über 100 Menschen waren gekommen, um sie zu hören. Um „Perspektiven für einen Frieden in Kurdistan“ sollte es gehen, und neben Tuncel sprach auch der einstige UN-Koordinator für den Irak, Hans-Christoph von Sponeck.
„Wenn es nach der UN-Charta gehen würde, dann wäre die Kurdenfrage längst gelöst“, sagte der. Doch weil EU und USA aus strategischen Gründen die türkischen Menschenrechtsverletzungen tolerierten, sei dies längst nicht in Sicht. Deshalb sei das „was die Kurden machen, nicht kriminell, sondern Widerstand“, sagte der Diplomat, der lange in der Türkei im Einsatz war. Die PKK müsse „an den Verhandlungstisch geholt werden“.
Dass es danach im Moment nicht aussieht, weiß auch von Sponeck. Denn selbst Tuncels gemäßigte, prokurdische Partei, die DTP, wurde erst vor fünf Wochen verboten. Die 20 Abgeordneten mussten zu einer anderen Partei übertreten. Dabei hatten fast 2 Millionen Menschen für sie gestimmt – genug, um die viertstärkste Fraktion zu bilden. Den nationalistischen Militärs und der ihnen nahe stehenden Justiz war das ein Dorn im Auge.
Neu ist dieser Umgang mit prokurdischen Parteien nicht, berichtete Tuncel: Die DTP sei die 27. Partei, die in der Türkei verboten wurde. Im Moment gebe es „fast schon eine Lynchatmosphäre gegenüber den Kurden“, sagte Tuncel. Seit dem Herbst seien über 1.000 Menschen verhaftet worden, es gebe viele rassistische Übergriffe. „Es gibt sehr wohl ein Problem, und die PKK ist das Produkt dieses Problems“, schloss sie. Christian Jakob