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Archiv-Artikel

Der Transformator

30 GRÜNE JAHRE Der Gründer und zeitweilige Parteivorsitzende Ludger Volmer zieht Bilanz: eine „subjektive“ Parteichronik über „Die Grünen“

VON PETER UNFRIED

Nehmen wir mal an, ein politisch interessierter Twentysomething interessiert sich für die fünftstärkste von fünf deutschen Parteien und liest dreißig Jahre nach der Gründung Ludger Volmers Bewegungs- und Parteigeschichte „Die Grünen“. Mit allem Respekt: Er könnte denken, dass es sich um einen Haufen handelt, mit dem man am besten nichts zu tun haben sollte.

Als Nachgeborener wird man Schwierigkeiten haben, inhaltlich nachzuvollziehen, worum es bei diversen hochmoralischen Auseinandersetzungen eigentlich ging – außer selbstverständlich um alles (und interne Machtpolitik). Wer nun den Eindruck bekommt, die Grünen seien dem eigenen Größenanspruch entsprechend zumindest das größte Irrenhaus der Welt, liegt fast richtig. Aus Volmers Sicht hat es in all den Jahren einen Einzigen gegeben, der stets klug, weitsichtig und vor allem komplett uneigennützig der Vernunft eine Schneise geschlagen hat. Sein Name ist nicht etwa Joschka Fischer, sondern Ludger Volmer. Während Jürgen Trittin sich taktisch raushält (logisch), Claudia Roth weint (logisch), Bärbel Höhn „blank“ zieht (um Gottes willen) und Fischer Panikattacken hat (die alte Memme) und alle ihre Egos ausleben, baut Volmer als Parteivorsitzender zwischen 1991 und 1994 die aus dem Bundestag geflogene Partei neu auf, fügt ihr das Bündnis 90 an, macht sie koalitionsfähig und so weiter.

Volmer, 57, stammt aus Gelsenkirchen, ist Sohn eines CDU-Bundestagsabgeordneten, Sozialwissenschaftler, Mitgründer der Grünen, Regierungsmitglied von 1998–2002, Opfer einer aufgebauschten Nichtigkeit (Visa-Affäre) und sicher einer, der den „linken“ Flügel geprägt hat. Eine „subjektive Chronik“ soll sein Buch laut Vorwort sein. Aber der Chronikteil ist chronisch langweilig und hemmt die Erzählung. Der subjektive Teil ist bei allem – möglicherweise berechtigten – Insistieren auf die eigenen Verdienste dann doch nicht mutig und subjektiv genug, um dem Bekannten und den Mythen eine riskante, aber spannende Interpretation hinzuzufügen, über die ernsthaft diskutiert werden müsste. Und er ist nicht gut erzählt. Selbst Oberrealo Fischer deutet er als seinen Antipoden nur an, lässt ihn als eine Art Schattenmann ab und an auftauchen, immer mit dem Hinweis, dass Fischer die Grünen – anders als die oberflächlichen, intriganten und Volmer-feindlichen Medien es verbreiteten – nie „im Griff gehabt“ habe.

Gegen die Gesinnung

Es war nämlich so: Er, Volmer, weist Claqueure an, bei Fischers Reden besonders laut zu klatschen, wodurch der 1998 Außenminister wird. Volmer selbst begnügt sich beim Dealen um die Posten mit jenem des Staatsministers in Fischers Auswärtigem Amt. Was sich dann aber als Unterforderung für einen Mann seines Kalibers erweist.

Und doch: Da ist etwas in diesem Buch. Volmer erzählt von seiner Entwicklung in der Regierungsverantwortung und der dadurch entstehenden Desillusionierung mit jenem Teil der Partei, der bei jeder Verantwortungsübernahme immer gleich Zeter, Mordio und Verrat schreit. 1999 hilft er beim Parteitag in Bielefeld, Fischers „Friedensplan“ für den Kosovokrieg durchzusetzen. Für ihn als Realpolitiker ist das jetzt „Verantwortungsethik“ und „im internationalen Rahmen wahrgenommene Verantwortung“. „Gesinnungsethik“ betreiben die linken „Verbalradikalen“, die sich in der Frage des völkerrechtswidrigen Kriegseinsatzes in ihre „Lieblingspose“ werfen, die des Widerständlers, entweder aus egoistischen Gründen (Profilierung) oder ohne die Konsequenzen intellektuell und moralisch wirklich zu Ende zu denken. Als Musterbeispiel für wohlfeile Gesinnungsethik wird die Parteivorsitzende Roth beschrieben. In der Folge seiner Transformation verliert Volmer seinen innerparteilichen Rückhalt. Er wird, wie sich das bei anständigen Linken gehört, exkommuniziert: „Ich war für sie nicht mehr ‚links‘.“

Radikalität des Offs

Wie später Ströbele und die Gegner des Afghanistan-Einsatzes „in einer Simulation von Verantwortungsbewusstsein“ losen, wer im Bundestag für den Einsatz stimmen muss, damit der Kanzler nur vier Gegenstimmen hat, auch das beschreibt Volmer als Sternstunde opportunistischen oder verantwortungslosen Handelns. Und als Anfang vom Ende von Rot-Grün. Die – aus seiner Sicht – Doppelmoral der Linken setzt ihm stärker zu als der jahrelange Konflikt mit den Realos. Da fragt sich selbstverständlich jeder (außer dem Erzähler): Schaut der Regierungsrealo Volmer voller Abscheu in einen Spiegel, in dem er auch den früheren Linken Volmer sehen könnte – wenn er könnte?

Am Ende bricht die Entwicklung abrupt ab. Der scheinbar geläuterte Verantwortungsethiker fällt zurück in eine larmoyante Radikalität des Offs. Auf die selbstgestellte Frage nach der Zukunft der Grünen findet Volmer, sie müssten sich entscheiden: „Funktionspartei der Mitte“ (böse, böse) oder „der avantgardistische Ausdruck eines globalen ökologischen Humanismus“ (aus seiner Sicht offenbar erstrebenswert). Fischer pflegte gern zu sagen: „Tertium non datur.“ In diesem Falle freilich ist den Grünen zu wünschen, dass sie demnächst doch noch einen dritten und erwachsenen Weg finden. Alt genug sind sie ja. Eigentlich.

Ludger Volmer: „Die Grünen. Von der Protestbewegung zur etablierten Partei – Eine Bilanz“. C. Bertelsmann, München 2009. 480 Seiten, 24,95 Euro