: Wertstofflager als Museum
Das Neue Museum Weserburg wendet lebensrettende Sofortmaßnahmen an: Die Ausstellung „Stabile Seitenlage“ lehrt Lachen und Gruseln und vielleicht auch das Mülltrennen
Bremen taz ■ Wo hört Recycling auf und fängt die Kunstsammlung an? Über den Umkehrschluss sollte man besser gar nicht nachdenken: Museen als riesige Wertstofflager. Nana Petzet hat ein halbes Jahr lang den Selbstversuch gemacht. Allen Müll, der sich ohne Gesundheitsgefährdung zu Hause sammeln lässt, hat sie archiviert und wieder nutzbar gemacht.
Ergebnisse: Quietschbunte Flechtschalen aus Chipstüten und ein hippes Pfeffer-und-Salz-Set aus Eierkartons und Ü-Ei-Kapseln. So etwas bastelt man sonst in Ländern, wo man sich nicht des Überflusses entledigen, sondern jeden Schnipsel verwerten muss. Petzet aber verknüpft die Dinge mit ihren hintersinnigen Überlegungen zum Kunstbetrieb. Mit einer Museumssoftware wird alles säuberlich inventarisiert. „Objekt: Kerze. Technik: Herunterbrennen.“ Sogar Marcel Duchamps legendären Flaschentrockner erweckt sie zu neuem Leben: Der leitete einst, aus dem Gebrauchsgegenstands-Alltag gerissen, ins Museum verpflanzt und zur Kunst erklärt, eine Revolution ein. Hier ist er wieder und tut, was er soll: Flaschen abtropfen lassen.
Medienwandel in der Kunst – das ist ein unterschwelliges Leitmotiv der Ausstellung „Stabile Seitenlage“. Eva-Maria Schön nennt ihre Foto-Serie „Analoge Fotografie“, als wäre das alleine schon ein Unikum. Die Vergänglichkeit des archaisch-organischen Materials Fotopapier treibt ihre Installation „Licht“ auf die Spitze: Hier lässt sie Fotopapiere wie modriges Laub auf den Museumsboden rieseln. Unter der Einwirkung des Lichtes entwickelt es Farbschattierungen zwischen gelb und violett, die tatsächlich an melancholisches Herbstlaub denken lassen.
Hans Hemmerts liebevoll animiertes Video „Porsche“ zitiert die Sixties mit ihren Miniröcken und Aktionskunst-Schockern. Da zertrümmert ein Rollkragenträger sorgfältig einen Porsche, aber keiner der Passanten schert sich darum. Im Rhythmus seiner Schläge tanzt ein Partygirl.
„Von der Komplexität bildender Kunst“ tönt herausfordernd der Untertitel der Ausstellung in der Weserburg. An dieser Stelle sei allen zugerufen, die jetzt kneifen wollen: Habt keine Angst! Die Schau der Ex-Stipendiaten der Stiftung Kunstfonds ist hinreißend komisch, sie spricht Emotionen an, mit und ohne Umwege über postmoderne Gedankenwindungen.
Hans Hemmerts Installation „Locale Vocabulare“ lässt grinsen über bescheiden ausgestattete Fernsehproduktionen, die er noch stümperhafter neu synchronisiert hat. Zu den Bildern von Verfolgungsjagd, Strandidylle und Knastdrama parlieren die Protagonisten über sakrale und profane Räume und die Doppeldeutigkeit von „einräumen“.
Alexandra Ranner lehrt mit ihrer Installation das Gruseln. Durch das Fenster ihres düsternen Gartenhäuschens sieht man einen abgetrennten Kopf im Wasser treiben und eine Bach-Kantate schmettern. In einem dichten Zitatnetz verknüpft sie mythische Vorstellungen von Osiris über Orpheus bis zur christlichen Jenseitshoffnung, die eines gemeinsam haben: Für sie ist der Tod ein Übergang, sie blicken weiter. Die Beklemmung entsteht, weil moderner Horror diese Perspektive absurd erscheinen lässt.
Annedore Beelte
Zu sehen bis 26. Februar