: Herausforderung Ahmadinedschad
Irans Präsident kann nach seinen Äußerungen zu Israel nicht länger als Wirrkopf verharmlost werden. Die Bundesrepublik ist aufgerufen, gegen ihn vorzugehen
Bei einem Zwischenhalt auf dem Rhein-Main-Flughafen haben –wie es später in realpolitisch gehaltenen Kommentaren hieß –„übereifrige“ hessische Staatsanwälte den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad aus einer Maschine der Iran Air geholt und in Untersuchungshaft gesteckt. Eingaben seiner Anwälte blieben bisher erfolglos. Ein Haftprüfungstermin ergab, dass ein zureichender Anfangsverdacht wegen Verstoßes gegen § 130 StGB (Auschwitzlüge), § 80 StGB (Aufstachelung zum Angriffskrieg) und Verstoßes gegen Artikel III der UN-Völkermordkonvention vorlag. Die Regierungen Russlands und Chinas protestierten, Massendemonstrationen in arabischen Ländern gegen westlich ausgerichtete Regierungen erschüttern die Region. Diese internationale diplomatische Krise hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht; der außenpolitischen folgt eine innenpolitische Krise.
Fraglich ist in diesem Szenario allenfalls, ob die deutsche Polizei in das Flugzeug eines anderen Staates eindringen darf und ob Staatsoberhäupter anderer Staaten ihrer Amtsausübung wegen Immunität besitzen. Ansonsten ist der Fall klar: Das iranische Staatsoberhaupt hat gegen deutsches Recht verstoßen: § 130 StGB verbietet eine die Würde der Opfer des Holocaust beeinträchtigende Leugnung der nationalsozialistischen Mordtaten, § 80 StGB stellt eine „im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes“ vollzogene „Aufstachelung zum Angriffskrieg“ unter Strafe. Da der iranische Präsident seinen Wunsch zur Tilgung des Staates Israel nicht in Deutschland geäußert hat, wäre dies nach hiesigem Recht nicht strafbar: Ein Haftgrund läge dieses Delikts wegen nicht vor. Wohl aber die Holocaustleugnung: In § 130 heißt es: „(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“
Schließlich stellen die iranischen Pläne zur atomaren Aufrüstung in Verbindung mit den gegen die Existenz des israelischen Staates gerichteten Reden der iranischen Staatsspitze eine akute Friedensgefährdung dar: Die Äußerungen des iranischen Präsidenten verstoßen damit sowohl gegen das völkerrechtliche Verbot des Angriffskrieges als auch gegen die Völkermordkonvention. In Artikel III c der Konvention wird die „unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord“ unter Strafe gestellt. Allerdings: Artikel 27 des römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs stellt zwar Völkermord unter Strafe, nicht aber dessen Vorbereitung. Geht man freilich – was etwa in Ruanda sinnvoll gewesen wäre und viel Unglück hätte verhüten können – davon aus, dass die Anreizung zum Völkermord bereits Völkermord ist, käme Artikel 27 des Römischen Statuts zum Zuge. Demnach sind „amtliche Eigenschaften“ von Personen, die Völkermord begehen, unerheblich und können keine Immunität begründen.
Nachdem Ahmadinedschad seine Vernichtungswünsche gegenüber dem Staat Israel und seine Holocaustleugnung in den letzten Tagen deutlich wiederholt hat und ihm weitere Teile der iranischen Staatsspitze Unterstützung gewähren, kann vom Ausrutscher eines Wirrkopfes keine Rede mehr sein. Die internationale Gemeinschaft hat zur Kenntnis zu nehmen, dass der mit erheblicher demokratischer Legitimität ausgestattete, gewählte Präsident des Iran einen Angriffskrieg und einen Völkermord plant. Hinweise darauf, dass er das vielleicht nur zur innenpolitischen Krisenbewältigung tut, sind ebenso spekulativ wie unerheblich: Die Aufdeckung verdeckter Motive ist das Werk von Kommentatoren, kann aber politisches Handeln nicht ersetzen. Angesichts der wiederholten Ankündigungen Irans reicht die öffentlich bekundete Empörung von westlichen Regierungen und UN nicht mehr. Mag sein, dass EU und USA aus unterschiedlichen Gründen derzeit dem Iran gegenüber eine vorsichtige Gangart bevorzugen – für die Bundesrepublik ist dieser Weg nicht mehr gangbar. Allein aus Gründen der Selbstachtung, des oben zitierten § 130 wegen, ist eine deutlichere Haltung Deutschlands unerlässlich: Es widerspricht der deutschen Staatsräson, zu einem Staat auch nur halbwegs normale Beziehungen zu unterhalten, dessen Spitze gegen dieses für das demokratische, universalistische Selbstverständnis der Bundesrepublik besonders wichtige Gesetz verstößt. Die Bundesregierung muss – gegebenenfalls auch im Alleingang – ihren Botschafter aus Teheran abziehen sowie den iranischen Botschafter in Berlin des Landes verweisen. Die Wirtschaftsbeziehungen sind einzufrieren, die Konten der iranischen Regierung und staatlicher iranischer Gesellschaften zu sperren – die Risiken langwieriger und kostspieliger Prozesse in Kauf zu nehmen. Schließlich ist es wegen der akuten Friedensgefahr, die in den Reden des iranischen Präsidenten deutlich wird, Zeit, die Angelegenheit dem Sicherheitsrat vorzulegen. Auch hier kommt der Bundesrepublik aufgrund ihres antinationalsozialistischen Selbstverständnisses eine besondere Initiativfunktion zu.
Für die politische Kultur ist indes eine andere Frage mindestens so wichtig: So muss sich die kritische Öffentlichkeit im Hinblick auf die künftige internationale Krise damit vertraut machen, dass dem Staat Israel aufgrund der iranischen Ankündigungen und Pläne möglicherweise ein nicht nur moralisches, sondern völkerrechtlich gestütztes Recht auf (präventive) Selbstverteidigung in Auslegung von § 51 der UN-Charta zukommt. Deutschland jedenfalls hat ein derartiges Recht im Fall des nach dem 11. 9. 2001 von den USA geführten Krieges gegen Afghanistan bejaht, obwohl bis heute kein belastbarer Beweis dafür vorliegt, dass der Anschlag auf die Twin Towers von der Talibanregierung angedroht, vorbereitet oder unterstützt wurde. Mit dem von Deutschland gebilligten Krieg der USA gegen Afghanistan ist das Kriegsvölkerrecht weiterentwickelt worden. Dabei ist das dem bedrohten israelischen Staat möglicherweise zukommende Recht auf präventive Selbstverteidigung an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden: gezielte Schläge gegen in Bau befindliche Atomanlagen ohne zivile Opfer würden dem jedoch vollkommen genügen.
Für Deutschland und seine politische Kultur ist die Lage ungemütlich. Steht doch die deutsche Staatsräson diesmal – schärfer noch als im Fall des Israel zwar angreifenden, den Holocaust aber nicht bezweifelnden Saddam Hussein – ernsthaft auf dem Spiel. Es geht nicht um ein paar verbohrte Zauseln aus der sächsischen Provinz, die weder die Energieversorgung noch den Weltfrieden gefährden und gegen die zu protestieren niemanden etwas kostet. Das, wogegen § 130 StGB steht, ist in Mahmud Ahmadinedschad zur ernsthaften politischen Größe geworden. Es ist damit zu rechnen, dass er die moralischen Grundlagen der Bundesrepublik erfolgreich untergraben wird. MICHA BRUMLIK