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Archiv-Artikel

AMERICAN PIE Alles neu macht der April

BASEBALL Die neue Spielzeit beginnt für alle Mannschaften mit übergroßen Erwartungen – aber ausgerechnet der Branchen-Krösus, die New York Yankees, blickt längst nicht so hoffnungsfroh in die Zukunft wie gewohnt

Trotz der vielen Millionen Dollar rechnet niemand mit der New Yorker Rentnertruppe

Der erste Spieltag der neuen Baseballsaison riecht nach jungfräulichem Rasen, nach Hotdogs mit Sauerkraut und Gurkenrelish, nach Frühling. Vor allem aber riecht der „Opening Day“, wie ihn die Amerikaner nennen, nach Hoffnung. Eine nachgerade mythische Bedeutung wird diesem ersten Spieltag zugewiesen: Von Schriftstellern, die ihn verewigt haben, von Präsidenten, die den zeremoniellen ersten Pitch werfen, und von den Spielern selbst, für die stellvertretend Joe DiMaggio zitiert werden soll. Man freue sich auf diesen Tag wie ein Kind auf den Geburtstag, hat die Legende einmal gesagt: „Man denkt, irgendetwas Wundervolles wird passieren.“

Der Opening Day, der traditionell am Montag der ersten Aprilwoche begangen wird und in diesem Jahr genau auf den 1.April fiel, ist längst so etwas wie der inoffizielle Frühlingsanfang in den USA. Das liegt an der Tradition und an der Nähe der beiden Ereignisse im Kalender, aber vor allem liegt es daran, dass der Saisonstart der Major League Baseball (MLB) und der Frühling eine gemeinsame Eigenschaft besitzen: Beide versprechen einen Neuanfang. Noch hat kein Team ein Spiel verloren und noch blühen die großen Hoffnungen. Zwar kann nur einer von 30 Major-League-Klubs die World Series gewinnen, aber am Opening Day können zumindest noch alle fest daran glauben, dass sie im Oktober die Glücklichen sein werden. Noch ist es erlaubt, zu denken: Alle haben dieselbe Chance.

Nun sind auch und gerade im Baseball manche gleicher als andere. Die Fans der Houston Astros beispielsweise dürfen zwar hoffen, aber realistisch betrachtet hat ihr Klub keine Chance, überhaupt die Playoffs zu erreichen. Dazu ist die Mannschaft einfach zu billig: Gerade mal 24,3 Millionen Dollar zahlen die Astros in diesem Jahr an Gehältern aus, ein knappes Zehntel der 229 Millionen, die die New York Yankees ausschütten.

Damit sind die Yankees mal wieder Branchen-Krösus, allerdings stark bedrängt von den Los Angeles Dodgers, die dank neuer Besitzer und eines neuen TV-Vertrages ihre Gehaltssumme auf 216 Millionen gesteigert haben.

Aber trotz der vielen Millionen gehen die Yankees anders als sonst nicht als große Favoriten in die neue Saison. Kein ernstzunehmender Analyst traut der zwar teuren, aber vollkommen überalterten Mannschaft etwas zu. Sogar das ehrwürdige Magazin The New Yorker sah sich zu einem Witz bemüßigt und hob die Yankees als sieche Rentnertruppe auf die Titelseite.

Zudem sind mit Derek Jeter, Mark Teixeira und Curtis Granderson momentan auch noch einige der wenigen Leistungsträger verletzt. Die sonst so selbstsicheren Yankees haben die Seuche – selbst Manager Brian Cashman brach sich beim Fallschirmspringen das Wadenbein und leitete den Klub aus dem Rollstuhl. Die Rumpftruppe handelte sich in der Auftaktpartie denn auch eine deftige Klatsche ein: 2:8 ging die Saisonpremiere vor ausverkauftem Haus verloren – und das ausgerechnet gegen die Red Sox, die Erzrivalen aus Boston, die sich ebenfalls in einer Umbruchphase befinden.

Die größte Aufmerksamkeit erregten denn auch nicht die eher unbekannten Namen auf dem Feld, sondern die, die bloß auf der Bank saßen wie Alex Rodriguez. Der ist mittlerweile 37 Jahre alt, mit jährlich 27 Millionen Dollar immer noch der bestbezahlte Baseballprofi, aktuell in der Rehabilitation nach einer Hüft-Operation und sieht sich momentan auch noch neuen Dopingverdächtigungen ausgesetzt. Kein Grund zur Panik, meint Herr Rodriguez: „Ich finde es großartig, dass alle sagen, wir wären alt, wir hätten nichts mehr drauf. Das ist eine großartige Herausforderung, allen das Gegenteil zu beweisen.“

Das Spiel gegen Boston dauerte dann allerdings so lange, dass aus dem sonnigen Frühlingstag ein ungemütlicher, windiger Abend geworden war. Es regnete in New York, die Zuschauer flüchteten noch vor dem Spielende aus dem schönen Stadion und alle Hoffnung, die am Opening Day doch so freizügig verteilt wird, schien schon wieder verflogen. THOMAS WINKLER