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Archiv-Artikel

Menschenkette statt Unterrichtsstunden

In Bulgarien streiken landesweit tausende LehrerInnen und KindergärtnerInnen. Sie fordern höhere Löhne

BERLIN taz ■ Bulgarische SchülerInnen freuen sich über vorgezogene Winterferien. Den vierten Tag in Folge streikten gestern LehrerInnen und KindergärtnerInnen. Rund 1.200 PädagogInnen bildeten eine Menschenkette um das Parlament in der Hauptstadt Sofia. Laut Lehrergewerkschaften waren landesweit 1920 Schulen und 520 Kindergärten von den Streiks betroffen.

Grund für den bislang größten Ausstand der PädagogInnen, dem vor zweieinhalb Wochen ein Hungerstreik von 2.000 LehrerInnen vorausgegangen war, sind die lausigen Gehälter. Mit durchschnittlich 250 bis 300 Lewa pro Monat (125 bis 150 Euro) rangieren LehrerInnen und ErzieherInnen am unteren Ende der Gehaltsskala. Viele haben Zweit- und Drittjobs, um über die Runden zu kommen.

Die Forderung nach einer 15-prozentigen Gehaltserhöhung zum 1. Januar 2006 hatte die Regierung abgelehnt. Letztes Wochenende unterbreitete Präsident Georgij Parwanow ein Kompromissangebot: Erhöhung der Löhne zum 1. Januar 2006 um 4 Prozent, zum 1. Juli 2006 um weitere 6 Prozent sowie Nachverhandlungen im Herbst – „je nach den Möglichkeiten des Budgets“.

Nach zähen Verhandlungen sowie Drohungen, die rebellischen LehrerInnen zu sanktionieren, schwenkte die Koalition unter Führung der Sozialistischen Partei BSP auf die Linie von Parwanow ein – ausgenommen die Nachverhandlungen.

Doch den Lehrkräften ist das zu wenig: Sie beharren auf 15 Prozent mehr Lohn. „Die geringe Anhebung der Einkommen bulgarischer Lehrer ist beleidigend und entspricht nicht den gestiegenen Lebenshaltungskosten der letzten drei Monate dieses Jahres“, heißt es in einem Schreiben der Lehrergewerkschaften. Darüber hinaus werden Finanzgarantien im Rahmen des Haushalts für 2006 gefordert, um die Qualität des Unterrichts sowie die Arbeitsbedingungen an Schulen und in Kindergärten zu verbessern.

Doch selbst, wenn sie wollte, ist fraglich, ob die Regierung den Forderungen nachkommen kann. Ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) verpflichtet Sofia zu strikter Haushaltsdisziplin. Hans Flickenschild, IWF-Beauftragter für Bulgarien, schlug vor, LehrerInnen zu entlassen, Schulen zu schließen und die Ausbildungsqualität zu verbessern. Erst dann könnten Gehälter erhöht werden. Dass ein gute Ausbildung auch eine entsprechende Motivation der LehrerInnen durch eine gute Bezahlung bedarf, scheint Flickenschild entgangen zu sein. BARBARA OERTEL