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Archiv-Artikel

betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Jede Woche wieder: da kämpft man sich als amtierende Bühnenbeobachterin für diese Kolumne erst mal durch Massen von Ankündigungsprosa diverser ÖffentlichkeitsschwerarbeiterInnen. AgentInnen umherwandernder Performanceformationen oder noch unfertiger Produktionen, die im Schweiße ihres Angesichts größere und kleinere Floskeln, gelegentlich auch diskursive Verständnisanleitungen in Textlein hieven, mit welchen sie dann unsereins, also die VorankündigerInnen wiederum locken und zur weiteren Werbung für ihre Veranstaltungen an Orten wie diesem hier bewegen möchte. Wobei wir dann meist nicht wegen dieser Texte, sondern trotzdem kommen. Das HAU zum Beispiel: Die Überschrift des neuen Abends des belgischen Allroundkünstlers und Choreografen Jan Fabre macht schon mal neugierig: „The Power of Theatrical Madness“. Jawohl! Das ist genau ein wesentlicher Motor, weshalb wir uns immer wieder aufmachen in die Theater und moralischen Anstalten dieser Stadt: weil wir die Macht des Theaterwahnsinns erleben wollen. Hautnah und höchstpersönlich! Aber dann lesen wir weiter auf der Webseite des HAU: dass es sich nämlich um „eine historische Performance, eine im Entstehen begriffene Geschichte“ handeln soll. „Sie enthüllt einen Endpunkt, an dem die Ökonomie der Illusion sich nun befindet, um sie in einem nächsten Schritt zu überschreiten.“ Schon abgetörnt. Was aber keinesfalls die Schuld dieses Künstlers sondern eben der verquasten PR-Prosa ist. Besser: auf Seite 2 des tazplans gucken. (HAU1: „The Power of Theatrical Madness“, ab 9. 4., 19. 30 Uhr).

Also schnell weitergeklickt: „Im Zigeunerleben berührt der Mythos die Gegenwart. Da trifft das Sozialamt auf Wahrsagerei“, liest man auf der Webseite des Ballhaus Ost, wo – überschrieben mit „Die Schönen und die Schmutzigen“ – die neue Produktion von Cora Frost und der Schaumstoffvirtuosen von „Das Helmi“ angekündigt wird, als „analoge Zigeuneroper aus wahren Begebenheiten zusammengestrickt“, und zwar „mit viel authentischem Sound und echter Gesellschaftskritik“. Aha, denkt man da. Wie darf man sich das vorstellen? „Gipsy zu sein, ist auch heutzutage nicht leicht“, geht es weiter im Text. „Immer diese Klischees! Die Vorurteile. Die einen kämpfen dagegen an, die anderen versuchen, sie zu erfüllen. Und jeder muss selbst wissen, wo er hingehört!“ Ein Zirkusdirektor und eine Sozialamtspraktikantin treten auch noch auf. Wollen wir noch mehr hören? Lieber nicht. (Ballhaus Ost: „Die Schönen und die Schmutzigen“, ab 4. 4., 20 Uhr). Bleibt nur, von besseren Texten zu träumen. Und trotzdem ins Theater zu gehen!