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Archiv-Artikel

Selektieren ausradieren

Das Kunstprojekt Unos United gehört erstaunlicherweise zum offiziellen WM-Kulturprogramm: In seine Kritik am „Prinzip Weltmeisterschaft“ mischt Macher Volker März aber fragwürdige Vergleiche

VON SEBASTIAN FRENZEL

Ein bisschen nervig ist es schon, was in den vergangenen Jahren an hochkulturellen Nobilitierungsversuchen an den Fußball herangetragen wurde – und jetzt im millionenschweren Kulturprogramm zur Fußball-Weltmeisterschaft einen neuerlichen Höhepunkt findet. Während in den VIP-Lounges der „Arenen“ mittlerweile mehr Alkohol gesüffelt wird als in den Rängen, grübeln Epigonen von Klaus Theweleit und Nick Hornby endlos über die „Philosophie“ des Fußballs. Schöngeistiger noch geht es in Museen oder im gerade erschienenen „Fußball-Kultur-Kalender 2006“ zu. Und mit dem „Reformer“ Jürgen Klinsmann soll es auch für Deutschland wieder bergauf gehen. Fußball ist zu einer schicken, universellen Metapher geworden, nutzbar gerade auch für diejenigen, die vom Spiel nichts verstehen. Selbst für kritische Stimmen ist in diesem ganzen Ästhetisierungsspektakel Platz, Stimmen, wie sie von der Künstlergruppe Unos United kommen. Wobei es Volker März, den Initiator und Kopf der Gruppe, schon wundert, dass Unos United jetzt als offizieller Beitrag des Kunstprogramms der Bundesregierung zur Weltmeisterschaft eingeladen und ganz ausdrücklich als Teil der Rundlederwelten-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau integriert wurde. Schließlich geht es Volker März darum, „die Schattenseiten des Fußballs“ zu beleuchten. Und das sind in seinen Augen die „Geldmaschine Fifa“ und die als nationalistischer Wettkampf hochstilisierte Meisterschaft.

Witzig und deftig geht es zu bei den Aktionen der Gruppe, Provokation und Paradoxien gehen Hand in Hand. Unos United, die „Vereinigung der Vereinzelten“, ist ein Team von fünf bis fünfzehn „Spielern“. Seit Juni dieses Jahres sind sie an historisch belastete Orte gezogen, an deren Geschichte sie durch ihre Guerilla-Performances erinnern wollen. Sie tragen Lederröcke und Fußballschuhe, sie singen arbeiterbewegte Lieder und führen Puppen – etwa von Hannah Arendt – auf Bollerwagen durch die Straßen. „Wir haben Gott nicht verhütet“, rufen sie, „wir sind die muffige Luft in der Ballpumpe; wir sind der peinliche Rest vom Protest.“ Mit sich tragen sie tischgroße Radiergummis, um, wie Volker März sagt, „das Vergessen auszulöschen“.

So irritierend die Performances, so ernst sind die Anliegen von Unos United. In Hildesheim zogen sie vom Bahnhof zu dem Ort, an dem einst die Synagoge der Stadt stand – eine „umgedrehte Deportation“. In Zürich ging es zum Sitz der Fifa und anschließend durch das Finanzviertel, in Nürnberg bauten sie exakt siebzig Jahre nach Verabschiedung der Rassengesetze ihre Radiergummis auf dem Reichsparteitagsgelände auf. „Der Fußball an sich ist harmlos“, sagt März. „Was mich stört, ist dieser nationalistische Wettkampf einer Weltmeisterschaft, bei dem es um das Auslöschen der anderen Nationen geht. Die beste Fußballmannschaft der Welt heißt nicht ohne Grund ‚seleção‘. Es geht um Selektion, und das verbindet eine Weltmeisterschaft mit Auschwitz.“

Ein Satz, auf den er auch auf Nachfrage besteht – die überraschendsten Holocaust-Relativierungen finden sich tatsächlich immer noch auf bei den selbst erklärten Linken. Wie kommt man auf die abstruse Idee, die Selektion an der Rampe, die für hunderttausende Menschen den Tod bedeutete, mit der Auswahl von Fußballspielern zusammenzudenken? „Es ist ja nicht so, dass wir das Politische in den Fußball hineintragen“, verteidigt sich März. „Die Weltmeisterschaft wird vielmehr durch die Politik instrumentalisiert. Wenn man sich Spiele anschaut wie jüngst die Türkei gegen die Schweiz, da wird mir angst und bange. Man könnte so eine Weltmeisterschaft ja auch ganz anders abhalten: nicht als Kampf der Nationen gegeneinander, sondern nationenübergreifend, etwa als Kampf der einzelnen Spieler mit Scorerpunkten.“

In Berlin hat die Gruppe seit dem Herbst Performances unter dem Titel „Alle Samt Angst“ aufgeführt. Mitte November ging es vom Gropius-Bau zum Potsdamer Platz, auf einem Bollerwagen fuhr „Todkacke“ („das Gegenteil von ‚Lebkuchen‘ “) mit, auf dem Mauerstreifen postierten die „Unos“ ihre Radiergummis und fragten Passanten nach Kontostand und Erbaussichten. Was sie allerdings treibt, beim dritten Teil der Reihe am Sonntag zum Holocaust-Mahnmal und zum Reichstag zu ziehen – geplant als „Machtübernahme“ – möchte man gar nicht mehr so genau wissen.

Beginn der Aktion am Sonntag um 14 Uhr im Gropius-Bau. Weitere Informationen unter: www.unosunited.de