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Archiv-Artikel

Gelassene Haltung

Es gibt zeitgenössische Kunst nicht nur in Leipzig: Die Hochschule für Bildende Künste Dresden war Gastgeber des Marion-Ermer-Preises 2005, der junge Kunst aus den neuen Bundesländern fördert

VON BRIGITTE WERNEBURG

Nicht dem Art déco, dem Feuer verdankt sich die florale Linienführung der Stahlverstrebungen des Glasdaches. Auch die Bibliothek der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste brannte bei der Bombardierung Dresdens aus. 2000 wurde sie, zusammen mit der Aula der Akademie unter der markant gefalteten Glaskuppel und zwei weitere Ausstellungsräumen, instandgesetzt. Dabei beließ man die verzogene Stahlkonstruktion wie sie war. Auch die Schäden an den Wänden wurden nur geflickt, nicht übertüncht.

In die Rundung dieses Raums, dessen rohe Backsteinmauern einige Dramatik besitzen, hat Susanne Altmann, Kuratorin des Marion-Ermer-Preises 2005, Stefanie Bühlers Arbeiten platziert. Die Kinder am „Walddenkmal“ oder die „Nachbarin“, die über ihre Milchkannen hinweg aus dem Fenster schaut, sie wissen sich gut gegen den eindrücklichen Raum zu behaupten. Und das, obwohl sie noch nicht einmal ihre natürliche Größe erreichen. Bühlers typischem verkleinertem Maßstab ist eine gewisse „Operettenhaftigkeit“ eigen, ein bildhauerisches Konzept, das sie von Martin Honert, ihrem Lehrer an der Dresdner Hochschule, übernommen hat und das die Hochebene der Ironie ebenso bedenkt wie die Niederung des Kitsches.

Der Marion-Ermer-Preis, der am Montag zum fünften Mal vergeben wurde, strebt dezidiert die Förderung von jungen Künstlern und Künstlerinnen an, die an den Hochschulen der neuen Länder ausgebildet wurden, wo sie auch leben und arbeiten. Da er schönerweise nicht in die Kategorie The winner takes it all fällt, werden gleich vier Preisträger mit je 5.000 Euro, je einem Katalog und einer Ausstellung belohnt. Neben Stefanie Bühler sind das nun Jan Brokof von der Dresdner Hochschule, Sven Johne aus der Klasse Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und Jana Gunstheimer von der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein in Halle. Betrachtet man ihre Installation oder die von Jan Brokof, scheint Schwarzweiß das Thema der Stunde zu sein. Brokofs Medium ist der Holzschnitt, den er für die biografisch-zeitkritische Aufarbeitung der wenig glücklichen Geschicke seiner Heimatstadt Schwedt, einem ehemals wichtigen Raffineriestandort, aktualisiert. Seine im Detail akribischen, aber nicht ganz perfekt geschnittenen Blätter tragen Titel wie „Wk 9“ oder „P2“, was den Wohnkomplex 9 mit seinem Plattenbautyp 2 meint.

Auch Jana Gunstheimers Schwarzweiß-Aquarelle dienen der Rekonstruktion. „Der Fall Stammsitz“, den sie in einem der beiden Ausstellungsräume ausgebreitet hat, forscht einem fiktiven Kriminalfall in der Essener Villa Hügel nach. Tatort und Tathergang, Spurensicherung und diverse Fundsachen werden in einer Vielzahl von Blättern, einem Modell, Schriften und Objekten minutiös dokumentiert. Doch wie in Brokofs maßstabsgetreuem Nachbau seines Schwedter Jugendzimmers, wurde auch in dieser Installation des Guten zu viel getan. Die notwendige Lässigkeit zeigt Sven Johne. Obwohl seinen fotografischen Bild-Text-Arbeiten eine genaue Konzeption zugrunde liegt, wirken sie wie nebenbei aus dem Ärmel geschüttelt. Unbefangen spielt Johne die Leerstellen von Dokumentation und Fiktion aus, den beiden Elementen, aus denen er seine Geschichte der Seefahrt (re)konstruiert. Genauestens benennt er den Punkt des Untergangs der „Maersk Sealand Utrecht“ in der Nacht vom 13. zum 14. Januar 2000 mit „51° 38‘ Nord, 2° 31‘ Ost, Scheldemündung“. Doch die Fotografie zeigt die Nordsee als unidentifizierbaren Meereshorizont.

Nicht weniger abenteuerlich als Johnes Dramen um die erfundene Ostseeinsel „Vinta“ erzählt sich die wahre Geschichte von Marion Ermer. Beobachtete man die lebhafte, interessierte Stifterin bei der Preisverleihung, glaubte man kaum, dass die 62-jährige Münchnerin seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr an Multipler Sklerose leidet und infolgedessen inzwischen erblindet ist. Als ihr nach der Wende in den neuen Ländern ein Immobilienvermögen im dreistelligen Millionenbereich zufiel, ermutigte sie Jenoptik-Chef Lothar Späth, eine private Kulturstiftung zu gründen. Dem Erfolg ihres mäzenatischen Engagements steht die Veruntreuung ihres Erbes durch ihren Generalbevollmächtigten gegenüber. Völlig vermögenslos lebt Marion Ermer heute von ihrer Invalidenrente. Wie in einer solcher Situation Haltung ausschaut, zeigte Marion Ermers wache Gelassenheit am Montagabend.

Gelassen ob der Fama, zeitgenössische Kunst könne allein aus Leipzig kommen, zeigte sich da auch die gastgebende Hochschule mit ihren knapp 530 Studenten. Ohne viel Aufhebens um bekannte Absolventen wie Eberhard Havekost, Thomas Scheibitz oder Frank Nitsche, wurde die Preisverleihung genutzt, die Aktivitäten der sonstigen, mit Gegenwartskunst befassten Szene vorzustellen. Sie belegen, dass Dresden nicht nur Alte Meister oder Neue Malerei kennt. Unter dem Aspekt aktueller Kunst wird auch der Weg Dresden vorhersehbarerweise bald Routine sein.

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