: Katzen im Hotel
Einsame Winter
Obwohl die Saison fast beendet ist und das Hotel in wenigen Tagen für einige Monate schließt, ist es noch gut belegt. Der Ausgang des Restaurants liegt der Bar gegenüber. Es ist schon dunkel, dennoch kann ich die Katzen sehen. Ihre bevorzugten Aufenthaltsorte, das Gebüsch und die kleine Rasenfläche, werden von einer Laterne matt beleuchtet. Dort sitzen, liegen und spielen sie fast den ganzen Tag, dort werden sie oft von den Gästen gefüttert. Sechs Katzen sind es, ein Muttertier und ihr Wurf. Obwohl die Katzen reichlich mit dem Hotelessen gefüttert werden, sind sie nicht dick, sie wirken eher rachitisch, unterernährt. Später sah ich die Mutter ihre Kleinen säugen – kaum zu glauben, dass ihr schmächtiger Körper noch genug Milch für die Jungen hergibt.
Verbringt man die Urlaubstage lesend, schreibend, faulenzend in den Hotelanlagen, lernt man alle Hotelkatzen kennen. Selten, dass einmal eine fremde Katze auftaucht. Vermutlich haben sie die Reviere durch Kämpfe aufgeteilt, und kämpfend verteidigen sie ihr Revier. Wo sich Hotel an Hotel reiht, gibt es viele Katzenreviere und viele Katzen.
Zutraulich sind die wenigsten dieser Katzen, halbwegs gepflegt noch wenigere. Schlecht heilende Bisswunden, manchmal tiefe Fleischwunden, angeborene oder durch Unfall oder Kampf verursachte Bewegungsstörungen und Ungezieferbefall sind bei vielen von ihnen zu beobachten. Für Hotelkatzen gibt es keine tierärztliche Behandlung, keine Wurmkuren, keine Impfungen. Und ein Hotelier käme vermutlich nie auf die Idee, Geld für ihre Sterilisation auszugeben. Hotelkatzen sind keine Haustiere. Sie sind wild lebende Tiere, geduldet im Hotel, solange die Gäste da sind.
Aber nicht alle Hotels dieser Welt sind 365 Tage im Jahr geöffnet. Niemand fragt, was aus den Katzen wird, wer sich um sie kümmert, wenn die Mittelmeerhotels im November schließen. Bis zum April, bis die ersten Gäste sich wieder einfinden und den Katzen Futter vom Buffet beschaffen, sind die Tiere auf sich gestellt. Doch im April sind längst nicht mehr alle Katzen da, die noch Anfang November ihr Verdauungsschläfchen an einer hibiskusbewachsenen Wand halten. Was ist mit den Katzen im Winter?, frage ich Cengiz, den Barkeeper, deute mit dem Blick auf die Tiere und reiche ihm mein leeres Bierglas. Cengiz füllt das Glas. Zu viele Katzen, antwortet er, jetzt sind es fünf oder sechs, im Frühjahr wären es zwanzig, dreißig oder noch mehr. Wenn man nichts tut, sagt Cengiz, und gibt mir das gefüllte Glas zurück. JÖRG BORGERDING