Brutale Kleinode

VERFILMT Das ZDF hat aus Ferdinand von Schirachs Bestseller „Verbrechen“ eine erstaunlich inspirierte Mini-Serie gebastelt (ab Sonntag, 22 Uhr)

„Ich hatte Sorge, dass es am Ende aussieht wie eine deutsche Serie. Deutsche Serien langweilen mich fast immer“

FERDINAND VON SCHIRACH

VON SVEN SAKOWITZ

Noch heute schaut Ferdinand von Schirach ein bisschen verzweifelt, wenn er von den ihm vorgelegten Ideen berichtet: „Ein Mann hat mir zum Beispiel einen Drehbuchvorschlag geschickt, er wollte aus dem Anwalt in meinem Buch einen Kommissar machen. Dieser Kommissar sollte mit wahnsinnigen James-Bond-Gadgets alle Fälle lösen. Es gab ein paar solcher Vorschläge – sicher interessant, aber nicht ganz das, was ich wollte.“

Verstörend lakonisch

Seit dem Erfolg seines Kurzgeschichten-Bandes „Verbrechen“ im Jahre 2009 standen die Produzenten und Regisseure Schlange bei Ferdinand von Schirach. In seinem Debüt verarbeitete er, der seit 1994 als Strafverteidiger in Berlin arbeitet, elf seiner Fälle zu literarischen Kleinoden, die Fragen nach Schuld, Gerechtigkeit und menschlichem Scheitern stellen. Alle so weit verfremdet, dass sich keine Rückschlüsse auf reale Personen ziehen ließen. Alle in einem verstörend lakonischen Stil erzählt.

Einer der Großen im Geschäft, Constantin-Geschäftsführer Oliver Berben, hatte schließlich, was von Schirach für eine TV-Umsetzung von „Verbrechen“ vorschwebte. Dabei klingt Berbens Konzept zunächst recht konventionell: Der Produzent wählte aus von Schirachs Debüt sieben Geschichten für eine sechsteilige Miniserie (im letzten Teil werden zwei Geschichten erzählt). In jeweils 45 Minuten erzählten die Regisseure Jobst Christian Oetzmann und Hannu Salonen eine abgeschlossene Story.

Das Ungewöhnliche an „Verbrechen“: Die vollkommen unterschiedlichen Geschichten des Buchs und die darin gezeichneten Milieus wurden nicht in ein starres Serienschema gepresst. Stattdessen wurde umgekehrt jede Folge den Vielschichtigkeiten der literarischen Vorlage angepasst, die TV-Episoden streifen verschiedene filmische Genres, von Psychodrama bis hin beinahe komödiantisch erzählten Geschichten (Buch: Jobst Christian Oetzmann, André Georgi und Nina Grosse).

Als Konstante in allen Episoden, die das ZDF an diesem und den kommenden beiden Sonntagen jeweils in Doppelfolgen ausstrahlt, ist einzig der Strafverteidiger Friedrich Leonhardt dabei, der von Josef Bierbichler gespielt wird. In der beklemmenden Auftaktfolge „Fähner“ vertritt er einen 72-jährigen Arzt (überragend: Edgar Selge), der nach einem Jahrzehnte dauernden Ehe-Martyrium seine furchtbare Frau im Keller mit einer Axt erschlägt und sich gleich danach mit den Worten „Ich hab Ingrid klein gemacht“ bei der Polizei meldet. In der zweiten Folge, „Tanatas Teeschale“, geht es ein bisschen lustiger, aber dennoch recht brutal zur Sache: Drei trottelige Kleinkriminelle (Denis Moschitto, Adam Bousdoukos, Alpa Gun) brechen in die Villa eines japanischen Geschäftsmannes ein und stehlen dort eine Schale, die sie für wertlos halten. Als sich ein Killer an ihre Fersen heftet, bitten sie Anwalt Leonhardt, dem Besitzer die Schale zurückzugeben – und ihnen so das Leben zu retten.

Auffällig ist die Bildsprache, die eine sehr moderne Optik erzeugt: Es wird viel mit körnigen, verwackelten Einstellungen gearbeitet, Szenen werden eingefroren und die Charaktere durch Einblendungen in Form von Steckbriefen eingeführt. Immer mal wieder blitzen in Zwischenschnitten Gegenstände auf, die Berben „Icons“ nennt – ein Messer, eine Pistole, eine Brechstange. Ein nettes Element, das in die ohnehin sehr verdichteten Episoden zusätzliches Tempo bringt. „Diese Icons sind aus der Idee entstanden, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Elemente zu lenken, ohne die Handlung aufzuhalten. So, wie das von Schirach mit Worten in der Vorstellungskraft der Leser gelingt.“ Schirach sagt: „Vielleicht schreibe ich filmisch. Ich denke in Bildern und schreibe in Bildern, es gibt kaum innere Monologe.“

Eine große Stärke der Serie sind die Auftritte von Josef Bierbichler. Wunderbar zurückhaltend und gleichzeitig enorm präsent gibt das schauspielerische Schwergewicht den erfahrenen Anwalt, der keine flammenden Plädoyers hält oder auf eigene Faust ermittelt – sondern vor allem zuhört und die richtigen Fragen stellt, den ruhenden Pol in all dem Wahnsinnigen, Brutalen und Skurrilen bildet. Bierbichler hat mit seinem zurückgenommenen Spiel großen Anteil daran, dass sich der Schwerpunkt der Geschichten nicht auf die Figur des Anwalts verschiebt, sondern stets die Mandanten und ihre Geschichten im Fokus bleiben.

Der Geist der Vorlage

Unverständlich ist der etwas aufdringliche Einsatz spannungserzeugender Musik. Das wirkt ja ohnehin immer so, als habe man in der Postproduktion Zweifel an der Story oder den Darstellern bekommen – und dafür gibt es in „Verbrechen“ eigentlich keinen Anlass. Der Geist der literarischen Vorlage bleibt in jedem Moment gewahrt.

Und das, obwohl Ferdinand von Schirach die künstlerische Hoheit komplett an Oliver Berben und sein Team übertragen hat. „Berben bot an, mir die Drehbücher zu schicken“, erzählt von Schirach. „Ich habe das abgelehnt, und das war auch die richtige Entscheidung. Das sind ja alles Leute, die ernsthaft sind und etwas von ihrem Geschäft verstehen – und ich habe überhaupt keine Ahnung von Filmen. Die müssen sich ohnehin schon so viele Gedanken machen, da sollen sie sich nicht auch noch mit dem Autor rumärgern müssen, der ihnen ständig reinredet.“

Erst als die Episoden fertig waren, sah von Schirach sie sich gemeinsam mit Oliver Berben an. Bei allem Vertrauen in den Produzenten war von Schirach – Fan der US-Serien „Mad Men“, „The Wire“ und „Curb Your Enthusiasm“ – vorab nervös: „Ich hatte ein bisschen Sorge, dass es am Ende doch aussieht wie eine deutsche Serie. Das hätte ich schade gefunden, weil es dann so eine beliebige Produktion gewesen wäre. Deutsche Serien langweilen mich fast immer.“

■ Das ZDF zeigt „Verbrechen“ an diesem Sonntag und an den kommenden beiden Sonntagen (14. und 21. April) jeweils in einer Doppelfolge ab 22 Uhr