: Schwierige Familienverhältnisse
HOMOEHE Bethan Roberts erzählt in „Der Liebhaber meines Mannes“ eine etwas andere Dreiecksgeschichte
Im englischen Original heißt dieser Roman „My Policeman“, die deutsche Ausgabe trägt den Titel „Der Liebhaber meines Mannes“. Die Akzentverschiebung ist keine Quantité négligeable, sondern macht einen Unterschied ums Ganze, denn sie zeigt einen Wechsel der Perspektive an. Bethan Roberts’ Roman wird abwechselnd von zwei Ich-Erzählern, von Patrick und Marion, getragen. Wo zärtlich von „mein Polizist“ die Rede ist, spricht Patrick, Marion dagegen steht es zu, „mein Mann“ zu sagen. Die Perspektive des Dritten im Dreieck, des sportlichen, gut aussehenden, jungen Polizisten Tom, wird über Patricks oder Marions Blick vermittelt.
Roberts’ Buch spielt in Brighton an der Südküste Englands. Marion, eine junge Lehrerin, verliebt sich in Tom, Tom willigt in die Ehe ein, doch hingezogen fühlt er sich zu Patrick, einem Angestellten des örtlichen Kunstmuseums. Im Jahr 1957, in dem der Roman einsetzt, hat dieses schwule Begehren keinen Platz in der Gesellschaft. Nicht nur sozialer Druck stellt sich ihm in den Weg, auch die Gesetze verbieten homosexuelle Handlungen unter Männern, und wo das Strafgesetzbuch ins Schlafzimmer der Bürger schaut, sind Scham, Furcht und Selbsthass nicht weit. Wenn Patrick in seinem Tagebuch verzeichnet, wie er und Tom sich nahe kommen, fragt er sich ängstlich: „Warum wieder schreiben? Obwohl ich weiß, dass ich vorsichtig sein muss. Obwohl ich weiß, dass es Wahnsinn ist, meine Wünsche zu Papier zu bringen.“ Er sorgt sich nicht ohne Grund, doch ist er in der Lage, eine Sprache für das zu finden, was er fühlt; Tom dagegen leugnet noch dann, als Marion dem Ehebruch auf die Spur kommt und ihn zur Rede stellt.
Roberts’ Sprache ist schmucklos und so alltäglich wie die meisten Handlungen und Gedanken der Figuren. Dem Sujet, dem verbotenen Begehren, der Selbstverleugnung, der weiblichen Selbstbescheidung, ringt die Autorin kaum neue Facetten ab, die Stärke ihres Romans liegt eher in den Details. Schön zum Beispiel ist, wie genau Roberts das Meer, die Landschaft, den Wind und das Wetter in den Blick nimmt, und ähnlich sorgfältig verzeichnet sie, was die Figuren essen und trinken. Die Häufigkeit, mit der Nahrungsmittel Erwähnung finden, mag ein fernes Echo auf die Entbehrungen der Kriegsjahre sein, zugleich erzählt das Essen viel über die britische Klassengesellschaft.
Wenn etwa Patrick für ein Picknick mit Tom Ochsenzunge, Roquefort, Oliven und „Biskuittörtchen mit Zuckerguss“ einkauft, kommt ihm das „völlig grotesk“ vor. Vorsichtshalber packt er neben dem Champagner Bier ein. An solchen Stellen deutet sich an, wie sich die Enge, in der Tom und Marion feststecken, zumindest augenblicksweise überwinden lässt. „Der Liebhaber meine Mannes“ kennt beides: Ansätze einer zaghaften Emanzipation ebenso wie die Rigidität der kleinbürgerlichen Welt, deren einziger Fluchtpunkt der Gang in den Pub ist und die bisweilen so deprimierend ist, dass die Depression das Buch selbst zu infizieren scheint. Marions Entscheidung, den Konventionen treu zu bleiben und dafür eine glück- und lieblose Ehe in Kauf zu nehmen, hat bei Roberts etwas von einem Kollateralschaden. Hätte Tom sie je geheiratet, hätte er sich sein Begehren für Patrick eingestehen können?
Die zweite Zeitebene des Romans, das Jahr 1999, wird allein von Marions Perspektive getragen. Patrick fällt als Ich-Erzähler aus, weil er einen Schlaganfall erlitten hat. Obwohl Tom und Marion seit Jahrzehnten keinen Kontakt zu ihm gesucht haben, nehmen sie ihn in ihrem kleinen Haus auf. Eine bittere Ironie: Vierzig Jahre nachdem die eine Liebe nicht sein durfte und aus der anderen nichts werden konnte, kommt es doch noch zur Ménage à trois. CRISTINA NORD
■ Bethan Roberts: „Der Liebhaber meines Mannes“. A. d. Eng. v. A. Gravert. Antje Kunstmann Verlag, München 2013, 400 S., 19,95 Euro