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Archiv-Artikel

Wer spinnt hier?

Seit 25 Jahren kämpft die „Irrenoffensive“ gegen die Ausgrenzung psychisch Kranker. Mit dabei: Gert Postel

Gert Postel ist nicht nur der berühmteste Psychiater der Republik, er ist wohl der einzige mit einem derartigen Fanclub. Es ist die Irrenoffensive, die zu seinen treuesten Verehrern zählt. Gerade weil seine Zertifikate, die ihm zur Ausübung einer psychiatrischen Tätigkeit befähigten, gefälscht waren. Nach einem längeren Gefängnisaufenthalt ist der Postel-Fanclub noch gewachsen. Und die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit. „Die Irrenoffensive und das, was ich inszeniert habe, haben dasselbe Ziel: einer gewalttätigen Praxis der Psychiatrie das Handwerk zu legen“, erklärte der falsche Psychiater in seiner Laudatio zum 25-jährigen Jubiläum der Offensive.

Hinter ihr stehen Menschen, die als Irre abgestempelt, aus der Gesellschaft ausgegrenzt und in Heime abgeschoben wurden, und sich dagegen wehren wollen. Damit standen sie zu Beginn der 80er-Jahre nicht allein. Es war die Zeit, als die Schriften der marxistischen Klassiker auf den Flohmarkt wanderten und mit Foucault die alltäglichen Unterdrückungs- und Machtverhältnisse stärker ins Blickfeld rückten. Damals gründeten sich Krüppeltribunale, Hexengruppen und eben auch die Irrenoffensive.

Während allerdings die meisten Neugründungen jener Jahre heute Stoff für die Archive der sozialen Bewegung sind, ist die Irrenoffensive noch quicklebendig. Mehr noch, sie feiert gerade „irre Siege“, wie es auf ihrer Homepage heißt. Das Oberlandesgericht Celle hat kürzlich die psychiatrische Zwangsbehandlung als unzulässig erklärt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach einer Psychiatriepatientin Schadenersatz zu, weil sie gegen ihren Willen in einer Klinik festgehalten wurde und Medikamente verabreicht bekommen hatte.

Der Kampf gegen die zwangsweise Heimeinweisung prägte die Irrenoffensive seit ihrer Gründung. Fast alle AktivistInnen haben Heime und Zwangsbehandlung am eigenen Leib erlitten, lehnen aber für sich jede Victimisierung ab. So nennen sie sich selbstbewusst Psychiatrieerfahrene und nicht -opfer.

Die Angriffspunkte der Irrenoffensive sind nach einem viertel Jahrhundert weiterhin die Psychiatrien. Doch der Schwerpunkt ihrer Kampagnen hat sich vom medizinischen auf den menschenrechtlichen Aspekt verschoben, wie der Berliner Aktivist Rene Talbot betont.

Doch den Weg von der sozialen Bewegung zur Nichtregierungsorganisation mit Büro in noblem Ambiente ist die Irrenoffensive nicht gegangen. Gegründet wurde sie in den Hochzeiten der ersten Berliner InstandbesetzerInnenbewegung. Kurzzeitig wurde sogar ein besetztes Haus zur „Ver-rücktenburg“ erklärt. Heute trifft sich die Gruppe in einem mittlerweile legalisierten Haus in Berlin. Auch Berührungsängste gegenüber Psychiatern kann man der Irrenoffensive nicht vorwerfen, wie man an der Liste der Festredner sehen konnte: sie führte schließlich den Chefarzt einer forensischen Klinik in Sachsen namens Gert Postel. PETER NOWAK