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Archiv-Artikel

Der HipHop, der Hass und die Holländer

NIEDERLANDE Wegen Anstachelung zur Diskriminierung von Muslimen steht der rechte Politiker Geert Wilders ab morgen vor Gericht. Ein paar radikale Musiker wollen nicht auf seine Verurteilung warten: In Rap-Songs und Internetclips nehmen sie ihn sich vor

Der Politiker

Geboren: 1963 in Venlo. Geert Wilders saß ab 1998 für die Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) im Parlament.

■ Gegründet: 2004 verließ er nach einem Richtungsstreit die VVD. Zu den Wahlen 2006 gründete er die Partij voor de Vrijheid (PVV). Mit seinem strikten Kurs gegen die Einwanderung vor allem von Muslimen gewann er auf Anhieb 6 Prozent der Stimmen. Internationales Aufsehen erregte 2008 sein Film „Fitna“, der den Koran als Quelle des militanten Fundamentalismus denunziert.

■ Geschützt: Seit 2004 steht Wilders wegen Morddrohungen unter ständigem Personenschutz.

AUS AMSTERDAM TOBIAS MÜLLER

Sobald die Beats einsetzen, legt er den Finger in die Wunde. Die, die seit Jahren immer wieder aufreißt. Genau da tut es weh, und genau da drückt er zu: „Pim Fortuyn redete über Muslime. Er wurde abgeknallt. Theo van Gogh redete über Muslime. Er wurde niedergeknallt. Wer ist der Nächste?“, fragt Mo$heb drohend. Die harten Konsonanten seines Akzents zerstechen den Keyboardteppich im Hintergrund. Nur ein paar Takte später taucht der Name Wilders auf, als Mo$heb, ein 20-jähriger Rotterdamer pakistanischer Abstammung, seine Gewaltfantasien loslässt: „Wenn ich dich treffe, heißt es bam-bam“, droht er dem Chef der Partij voor de Vrijheid (PVV) an. Und: „Wenn du so weitermachst, bist du der Nächste.“

80 Sozialstunden und zwei Monate auf Bewährung brachte der Song „Wie Iz de Volgende?“ (Wer ist der Nächste?) dem Rapper im Dezember ein. Anderthalb Jahre zuvor hatte Wilders ihn angezeigt. „In dem Moment, in dem man Menschen mit dem Tod bedroht oder damit, ihnen Kugeln durch den Körper zu schießen, sehe ich in künstlerischer Freiheit wenig Sinn“, so der Politiker damals. Genau darauf jedoch bezog sich Mo$heb und ging in Berufung. Zudem lasse er in seinem Text keinen Zweifel daran, dass es nur Rhetorik sei, wenn er sagt: „Hör zu, Geert, das ist kein Witz, gestern Nacht träumte ich, ich hätte deinen Kopf abgehackt.“

Mo$heb ist nicht der Einzige, der derartige Träume hat. In einer Ecke des eher clownesken niederländischsprachigen HipHop ist in den letzten Jahren ein radikales Subgenre entstanden. Die MCs, meist Kinder muslimischer Einwanderer, wenden sich gegen das Leben in den schäbigen Neubaugettos am Rand der Städte, die latente Segregation im Bildungssektor, wo man schon seit Langem von „schwarzen“ Schulen und „weißen“ Schulen spricht, die schlechten Jobaussichten. Und nicht zuletzt gegen eine Entwicklung, die sich auf ein Wort reduzieren lässt: „Scheißmarokkaner“. In der Zeit, da die Niederlande als Vorbild einer toleranten Gesellschaft galten, bestand ein breiter Konsens gegen solche Aussprüche. Vor rund zehn Jahren jedoch brach sich ein Bedürfnis Bahn, die Dinge beim Namen zu nennen, vor allem, wenn es um Integration ging. „Scheißmarokkaner“, das musste man doch wohl noch sagen dürfen! In breiten Kreisen wurde diese Meinung salonfähig. „Scheißmarokkaner“ avancierte zu einem geflügelten Wort, zum inoffiziellen Leitspruch einer Bewegung, die alles, was nach politischer Korrektheit klingen könnte, rabiat ablehnt. Pim Fortuyn gab diesem Bedürfnis eine politische Stimme. Wilders hat längst sein Erbe angetreten. Er hetzt gegen „marokkanische Straßenterroristen“ und spricht von „Pack“, das abgeschoben gehöre. Die Einwanderung von „nichtwestlichen Ausländern“, also Muslimen, will er stoppen, den Koran vergleicht er mit „Mein Kampf“ und will ihn verbieten lassen. Wegen Anstiftung zu Hass und Diskriminierung steht der Politiker nun selbst vor Gericht, morgen beginnt in Amsterdam der Prozess gegen ihn.

Die Rapper aus der zweiten Migrantengeneration erwarten sich nicht viel vom Rechtsstaat. Sie haben ihre Texte, um mit Wilders abzurechnen. „Wenn du es tust, tun wir es auch“, drohte die Nieuwe Straat Generatie, ebenfalls aus Rotterdam, als Wilders 2008 seinen Film „Fitna“ veröffentlichte. Dann knallen Schüsse, die MCs fantasieren über Schwerter, Uzis und darüber, Wilders einfach zu ertränken, und auch das kommt vor: „Hamas, Hamas!“ Der Gazakrieg erwies sich als Kickstart einer weiteren Radikalisierung. Wo die eigene Identität vor allem als muslimisch erfahren wird, lassen sich die Bilder von toten palästinensischen Kindern allzu leicht einfügen in ein Weltbild, das geprägt wird durch die Existenz am Rand der Gesellschaft und den ungebrochenen Zulauf von Wilders’ Partei. Während die PVV seit Monaten in Umfragen Rekordwerte erreicht, bedienen sich manche Rapper immer unverhohlener im Sortiment militant-islamistischer Symbolik: In Videoclips zu den oft einfach nur „Wilders-Diss“ betitelten Songs tauchen brennende USA-Flaggen auf oder Dschihadisten mit Maschinenpistolen. In einem Clip erscheint das Bild des rituell abgeschlachteten Filmemachers Theo van Gogh, auf dem Rücken liegend, das Messer im Bauch. Auch in den Clips zu Mo$hebs-Songs gibt es solche Anspielungen. Der Rapper betont jedoch, dass diese nicht von ihm seien. Schließlich kann heute jeder ein paar Bilder zusammenkleben, mit Musik unterlegen und auf YouTube hochladen. Mo$heb bleibt dabei: „Ich bin nicht gefährlich.“ Warum dann die ganze gewalttätige Drohkulisse? „Genau diese Frage“, sagt der Sohn pakistanischer Einwanderer, „wird mir nie gestellt.“ Es ist eine Frage von Ursache und Wirkung, und glaubt man Mo$heb, haben die Muslime nicht zuerst geschlagen. „Guck dir all die Dinge an, die Wilders gesagt hat. Ich bin darüber sehr wütend. Und das Rappen ist mein Ventil. Darum habe ich ‚Wie Iz De Volgende‘ geschrieben.“ Töten, beteuert Mo$heb, will er Wilders keineswegs. Und auch wenn ein anderer das täte, könnte er das nicht gutheißen. Trotz allem gibt es zwischen Mo$heb und Wilders Parallelen. Zum einen berufen sich beide auf die Meinungsfreiheit. Der Politiker, um seine Aussagen über Muslime und den Islam zu decken, der Rapper, um seine verbalradikale Opposition zu unterbauen. Das Zweite hat mit Rhetorik zu tun: „Wenn du Grenzen überschreitest, bekommst du Aufmerksamkeit,“ sagt Mo$heb. „Das zeigt mein Lied, und das sieht man auch bei Wilders. Wenn du extreme Dinge rufst, hören die Menschen dir zu.“

Eine Erfahrung, die MC-Kollege Appa bestätigen kann. Der 26-Jährige, der aus einem sogenannten Problemviertel in Amsterdam-Noord stammt, widmete sich dem Thema zunächst eher von der satirischen Seite her. In einem Lied namens „MC Wilders“ entwarf er ein Persönlichkeitsprofil des Politikers und führte dessen Aussagen auf eine schwere Kindheit zurück: „Ich hasse Ausländer, ich war immer der Prügelknabe auf der Grundschule. Sie haben mehr als mein Herz gebrochen, darum sind meine Ansichten so eindeutig.“ Dann aber kam dieses Interview im Sommer 2007. Nachdem seine Lieder im Internet immer populärer geworden waren, stellte ihm die Tageszeitung De Pers einige Fragen. „Wenn ich Wilders treffe, gehört er mir. Ich schwöre, ich packe ihn an. Und es gibt mehr Menschen, bei denen dieses Bedürfnis wächst“, antwortete Appa und fügte hinzu: „Man muss sich nicht wundern, wenn demnächst Mohammed C. aufsteht. Wenn jemand eine Kugel durch seinen verdammten Kopf schießt, finde ich das nicht schlimm.“

Die Rapper aus der zweiten Migrantengeneration erwarten nicht viel vom Rechtsstaat

Da war sie wieder, die Narbe. Mohammed C., der fiktive Nachfolger des Van-Gogh-Mörders, des Islamisten Mohammed B. „Dieses Land hat noch immer ein Trauma, sagte der GroenLinks-Politiker Tofik Dibi, selbst erklärter „urholländischer Marokkaner“, einmal. Und als Appas Aussage in den Zeitungen stand, erstattete Wilders Anzeige wegen Bedrohung. Anders als Mo$heb gewann Appa, der Sohn marokkanischer Einwanderer, seinen Prozess. „Ich sagte nur, dass ich nicht weine, wenn ihn jemand umlegt. Das darf ich ja wohl finden!“ Eigentlich aber findet Appa, man müsse mit Wilders sprechen. Ihn mitnehmen in die Viertel, die er verteufelt. „Ihn mit Menschen konfrontieren, die versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Menschen, die es schwerer haben durch seine Politik. Er sagt sehr viele Dinge, aber er kennt uns nicht. Ich würde gern einen richtigen Prozess mit ihm beginnen. Und als allererstes reden.“

Appa, der ehemalige Kleinkriminelle, versucht, sich von seinem alten Leben zu lösen. Er sagt, er wolle ein guter Muslim sein, ein guter Mensch. Seine Texte klingen nach Läuterung, der frühere „Internetrapper“ hat ein richtiges Album herausgebracht, das „Straßenphilosoph“ heißt. Wird er dann also zu einer Art Sozialarbeiter zur Reintegration des Politikers Wilders? Appa lacht. „So kann man das nennen.“

Vielleicht sollten sie sich anfangs über Politik unterhalten. Neue Parteien hält Appa für dringend notwendig. „Mit Menschen, die wissen, was Arbeit bedeutet und wie es unten in der Gesellschaft aussieht. Keine Typen in schnieken Anzügen, sondern der nüchterne Niederländer und der nüchterne Marokkaner, die knallhart für ihr Brot arbeiten.“ Bis auf die Marokkaner klingt das wie ein Wahlprogramm des Mannes, dem er einst den Tod wünschte. „Aber in diesem Punkt“ sagt Appa, „haben wir etwas gemeinsam.“